Die letzte Nacht der Unschuld
Skiausrüstung und ihren Wohnwagen wichen zur Seite, um sie vorbeizulassen. Sie kamen jetzt schnell voran, aber das konstante Heulen der Polizeisirene machte eine Unterhaltung unmöglich. Wahrscheinlich war es auch besser so, redete Colleen sich ein und hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Was gäbe es auch noch zu sagen?
Bei der Ausfahrt zum Flughafen salutierte der Polizist lächelnd zum Seitenfenster hinaus und fuhr geradeaus weiter.
Cristiano mied die verstopfte Straße zum Parkplatz des Abflugbereichs und nutzte stattdessen die Lieferantenzufahrten. Das satte Brummen des Campano-Wagens hallte an den Wänden der Lagerhäuser wider. Vor ihnen tauchte ein hoher Gitterzaun auf, Sicherheitsleute liefen herbei, um das Tor aufzuziehen. Hinter dem Tor auf der Piste stand wartend ein kleines Flugzeug. Cristiano fuhr direkt bis an die Maschine heran, bremste und stellte den Motor ab.
In der jähen Stille hatte Colleen das Gefühl, als legte sich eine eiserne Klammer um ihre Brust. Der Moment war gekommen, sich von Cristiano zu verabschieden. Dabei gab es noch so vieles, was sie ihm zu sagen hatte. Doch dafür blieb keine Zeit.
„Das war’s dann also.“
Seine Stimme klang kühl und nüchtern. Einige Sekunden blieben sie beide reglos sitzen. Colleen öffnete den Mund, suchte nach Worten, doch da hatte er schon seine Tür geöffnet und stieg aus.
Zu spät.
Mit steifen Fingern tastete sie nach dem Türgriff. Sie fühlte sich wie gelähmt, zerrissen zwischen dem Wunsch, unbedingt zu Alexander zu gelangen, und dem jähen Entsetzen, Cristiano zu verlassen. Er war auf der Beifahrerseite angekommen und zog die Tür auf. Ungeschickt stieg Colleen aus. Sie wäre gestolpert, hätte Cristiano sie nicht bei den Schultern gepackt und gestützt.
Er ließ sie sofort wieder los. „Zeit, sich zu verabschieden“, sagte er tonlos. Ein Steward stieg die Bordtreppe herab und kam auf sie zu.
„Kann ich deine Telefonnummer haben?“, fragte sie drängend. „Ich muss dich wiedersehen, muss mit dir reden …“
Cristiano trat einen Schritt zurück. Seine Augen blickten kalt, seine Miene war hart und starr. Er hätte nicht zu antworten brauchen, alles an seiner Haltung schrie: Bleib weg . „Ich halte das für keine gute Idee.“ Er nickte knapp dem Steward zu, der ihren Koffer aus dem Wagen geholt hatte. Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, wandte Cristiano sich wieder ihr zu. „Es ist vorbei, Colleen.“
Wie Rasierklingen schnitten seine Worte in ihre Erinnerungen an jenen anderen Abschied, als er sie aufgefordert hatte, auf ihn zu warten. Und mit der zerstörten Erinnerung schwand auch die letzte Hoffnung. Irgendwie schaffte es Colleen, an Bord des Flugzeugs zu gehen. Und erst, als die kleine Maschine in die Luft stieg, hielt sie die Tränen nicht länger zurück.
Was hatte Dominic gesagt? Sie brauchte Antworten und sollte endlich Klarheit finden.
Nun, die hatte sie jetzt.
8. KAPITEL
„Mit Meningitis ist nicht zu spaßen, aber ausschlaggebend für die Genesung ist immer die frühzeitige Diagnose.“
Hinter ihrem Schreibtisch lächelte die Oberschwester der Kinderstation freundlich. Colleen hatte das Gefühl, sie müsste zurücklächeln oder etwas erwidern, aber es kostete sie schon alle Kraft, ruhig hier zu sitzen und nicht laut zu schreien. Den Blick auf das Namensschild an der blauen Uniform gerichtet, versuchte sie, sich auf das zu konzentrieren, was Schwester Watson sagte.
„Alex hat großes Glück gehabt. Dank der prompten Reaktion von Mr und Mrs Hill konnten wir schnell festlegen, welche Antibiotika den größten Erfolg erzielen. Er bekommt das Medikament intravenös verabreicht. Wir gehen davon aus, dass innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden eine konkrete Besserung seines Zustandes eintritt.“
Die unbeschwerte Sachlichkeit der Schwester schien Colleen in ihrer Verzweiflung und Sorge völlig unangebracht. Alexander, ihr Sohn, lag am Ende des Korridors in einem kleinen Zimmer, an Schläuche und Maschinen angeschlossen und mit Nadeln in den Armen! „Das ist gut“, brachte sie schwach hervor.
„Aber natürlich ist das gut!“ Schwester Watson strahlte. Das Haar hatte sie zu einem strengen Knoten aus dem breiten Gesicht zurückgesteckt. „Alex ist ein kräftiger kleiner Junge, Mrs Edwards. Das hat er bestimmt von Ihnen.“
Schwester Watson wollte sie nur aufmuntern. Trösten. Positiv sein. Es wäre unhöflich, sie jetzt auf ihren Irrtum hinzuweisen. Oder sie anzufauchen, dass ihr
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