Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
war.
Athelstan machte sich viele geringere Könige und Edle untertan und errichtete ein mächtiges Königreich. Er erließ neue Gesetze für England. Er ehrte seine Eltern, seine Halbschwestern und Halbbrüder. Seine Schwestern waren die schönsten Prinzessinnen der ganzen Christenheit. Hugo der Große, Herzog der Franken und Graf von Paris, hielt um die Hand Edhilds an, der lieblichsten der Schwestern. Herzog Hugo war ein Capet, und sein Sohn sollte König von Frankreich und Stammvater eines Geschlechts von Königen werden, die über Jahrhunderte in ununterbrochener Folge über Frankreich herrschten.
Um ein Bündnis mit Athelstan zu schmieden und seine Schwester heimführen zu können, überbrachte Hugo Capet Athelstan kostbare Gaben. In seinem Besitz befanden sich die Reliquien Karls des Großen, denn er war ein direkter Nachfahre dieses großen christlichen Herrschers. Er überreichte Athelstan ein Schwert, einen Speer, Trinkbecher und eine heilige Krone.
Einige weigerten sich, Athelstan Tribut zu zollen und sich seinem Willen zu beugen. Eher würden sie sterben, schworen sie, als »Unterkönige« Englands zu werden. Drei dieser Könige verbündeten sich gegen Athelstan, um seinen Untergang herbeizuführen. Der Wikingerkönig Olaf Guthfrithsson, König Konstantin von Schottland und König Owain von Strathclyde brachen 937 zum Kampf gegen König Athelstan
auf. Am Morgen der Schlacht von Brunanburh schmückte Athelstan seinen Kopf mit der Krone, die Hugo Capet ihm zum Geschenk gemacht hatte, und führte seine Krieger mit ihren Schilden in den Kampf. Seine Truppen waren weit in der Unterzahl, aber er war ohne Furcht.
Es war eine große, beklagenswerte und schreckliche Schlacht. Athelstan ritt seinen Männern voran in den Kampf wie kein König vor ihm. Er war ein glänzender Feldherr, nicht aufzuhalten von den feindlichen Heerscharen und gnadenlos gegen seine Widersacher. Am Ende ging er als Sieger aus der Schlacht hervor. Es heißt, dass niemals Ströme von Blut die Erde so tief durchtränkten wie bei Brunanburh. Die Toten waren so zahlreich, dass die schwarzen Raben, die Adler, die Habichte und die Wölfe viele Tage lang schmausten.
So wurde Athelstan der Erste, der über ein geeintes Königreich England herrschte.
Die Krone. Es musste dieselbe sein. Die Krone stammte aus Frankreich, war das Geschenk eines Königs, der ein Geschlecht von Königen zeugte. Ein junger englischer König trug sie bei einer Schlacht, die eigentlich schon verloren war, aber dank dem unerbittlichen, unbezwingbaren Kampfgeist Athelstans gewonnen wurde und zur Einigung unseres Inselreichs führte. Und dann wurde die Krone des Königs aus unerfindlichem Grund nach Frankreich gebracht und bei Limoges, nicht weit von der Grenze Aquitaniens, vergraben.
Ich nahm die heruntergebrannte Kerze. Es würde bald dämmern, und ich musste im Hospital zurück sein, wenn die Glocken zum ersten Morgengebet riefen.
Im Gang war es kalt und stockfinster. Der Morgen war nicht so nahe, wie ich geglaubt hatte; es war noch tiefe Nacht.
Ich war erst wenige Schritte gegangen, als, fein wie ein Fädchen, ein feuchter Windhauch die Luft durchzog. Ich hatte dergleichen im Inneren des Klosters noch nie gespürt. Der Kreuzgang mit seinem Innenhof war zu weit entfernt, von dort konnte das Lüftchen nicht kommen. Und im Gang gab es keine Fenster.
Ich blieb stehen und wartete. Die Luft war wieder schwer und still geworden. Und doch war da noch etwas mit mir im Gang. Ich hob die Kerze hoch und hielt sie hierhin und dorthin. Nichts. Das Kerzenlichthätte mir die Gestalt eines Mannes oder einer Frau gezeigt. Es war ein beobachtender Geist. Mutterseelenallein in dem dunklen Gang des Klosters fühlte ich mich beobachtet.
Jeder, der vielleicht etwas vom Geheimnis des Klosters gewusst hatte, war niedergestreckt worden. Was ich Minuten zuvor gelesen hatte, reichte mir aus, um mir zusammenreimen zu können, welche Macht die Krone Athelstan verliehen hatte. Er hatte eine Schlacht gewonnen, von der alle geglaubt hatten, er würde sie verlieren. War es der Krone zu danken gewesen, die er getragen hatte?
Ich hörte etwas. Keine Stimme, keinen Schritt auf dem Steinboden. Es war wie der Hauch eines Atems, aber nicht der eines warmen, sterblichen Leibes. Ich spürte den Odem eines strengen, erbarmungslosen Gerichts.
Wieder kroch der seltsam sich kräuselnde Windhauch durch die Luft. Es war das Kloster selbst. Es erwachte rund um mich zu Leben. Athelstans Krone bewegte
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