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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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schmerzlich und beschämend. Wir waren völlig überrascht. Es war nicht einfach mit ihr gewesen, aber das hatte niemand erwartet.«
    »Und dann ist sie einfach gegangen? Was wird ihre Mutter denn dazu gesagt haben?«
    Schwester Agatha überlegte einen Moment. »Keine Ahnung«, sagte sie schließlich. »Am nächsten Tag war sie fort. Wir haben nie wieder von ihr gehört.« Sie reckte den Hals, um zum Fenster hinaussehen zu können. »Bis jetzt.«
    Ich erledigte meine Arbeit in der Küche; ich sang die Messe und nahm das Mittagsmahl mit den anderen ein. Ich versuchte, so zu tun, als wäre es ein gewöhnlicher Tag. Aber die ganze Zeit wuchs die Furcht in mir. Es wurde noch schlimmer, als ich ins Hospital kam und hörte, dass Bruder Edmund im Amtszimmer der Priorin war, um erneut befragt zu werden. Schwester Winifred, die ihr Lager verlassen hatte, war kaum zu beruhigen.
    »Sagt mir, wo er ist«, flehte sie Schwester Rachel an. »Was sollte er bei der Priorin zu schaffen haben?« Aus Sorge um ihre Gesundheit hatten wir ihr noch immer nichts von der Ermordung Lord Chesters gesagt, aber dadurch wurden so viele Ausflüchte und kleine Lügen notwendig, dass ich die Entscheidung bedauerte.
    Ich umfasste Schwester Winifreds kalte Hände. »Es wird alles gut, Schwester. Bitte macht Euch keine Sorgen.«
    »Ja, mach dir keine Sorgen«, sagte jemand hinter uns.
    »Oh, ich habe dich so vermisst«, rief Schwester Winifred und warf sich ihrem Bruder in die Arme. Er tätschelte ihr beschwichtigend den Rücken und sah mich dann lächelnd an. Seine großen braunen Augen waren die Ruhe selbst.
    Ich war tief erleichtert.
    Nachdem er seine Schwester beruhigt hatte, sagte er zu mir: »Schwester Joanna, ich möchte Euch etwas zeigen.«
    Ich folgte ihm zu seinem Apothekenschrank. Er nahm eine Handvoll dunkler Blätter aus einem Kästchen und streute sie in die Schale. Über das Feuer gebeugt, zeigte er mir, wie nahe die Schale an die Flammen herangeführt werden musste.
    »Es ist wichtig«, erklärte er, »dass die Blätter nicht verbrennen.«
    Ich trat so nahe an ihn heran, dass meine Finger von der Hitze des Feuers zu kribbeln begannen. »Warum zeigt Ihr mir das gerade jetzt?«, flüsterte ich. »Sie hat doch keinen Anfall.«
    »Schwester Joanna, bitte, Ihr müsst gut aufpassen und Euch alles merken.«
    »Aber warum?«, wiederholte ich. »Ihr verabreicht doch das Mittel. Warum soll ich das lernen?«
    Das Läuten der Kirchenglocken zwang mich, das Hospital zu verlassen, ohne dass ich eine Antwort erhalten hätte.
    Der Rest des Tages verging ohne neue Entwicklungen, und am folgenden Tag bekamen wir keinen der drei Männer aus Rochester zu Gesicht. Anscheinend hegten sie keinen Verdacht mehr gegen die Brüder und alle anderen, die hier lebten. Vielleicht hatten sie den Mann gefunden, der Lord Chester getötet hatte, und uns nur noch nicht davon in Kenntnis gesetzt.
    Kurz nach dem Mittagsmahl ging ich wieder ins Hospital, um Bruder Edmund zu helfen. Schwester Rachel kümmerte sich um Schwester Helen, die immer noch besinnungslos war. Ich betete gemeinsam mit Schwester Winifred einen Rosenkranz, während Bruder Edmund einen Umschlag für sie vorbereitete.
    Plötzlich schrie Schwester Rachel laut auf. »Bruder Edmund, schnell!«, rief sie.
    Schwester Helen lag immer noch mit geschlossenen Augen, aber sie rang keuchend nach Atem. Aus ihrer Kehle drang ein beängstigendes schleimiges Röcheln; sie schien keine Luft zu bekommen. Ihre Finger zuckten wie im Kampf. Bruder Edmund öffnete ihren Mund und drückte ihre Zunge herunter; danach rieb er ihre Arme.
    Innerhalb von Minuten sammelte sich ein Dutzend Schwestern um sie. Wir bildeten eine Kette und hielten einander an den Händen, während wir beteten. Auch die Priorin kam und stimmte mit ihrer klaren Stimme in die Gebete ein. Ich spürte in der Luft das Pulsen der Liebe, die wir alle Schwester Helen entgegenbrachten. In solcher Kraft vereint, dachte ich, würden wir Schwester Helen retten können. Ein Herz und eine Seele in Gott.
    Aber an diesem Tag wollte Gott es anders.
    Bruder Edmund trat zurück. »Es ist vorbei«, sagte er zur Priorin.
    Ich brach, genau wie einige andere, in Tränen aus. Die Priorin rief: »Schwestern, hört mir zu! Hört mir zu! Erinnert Euch, was der heilige Dominikus auf dem Sterbebett sagte: ›Weint nicht, denn im Himmel werde ich Euch von größerem Nutzen sein.‹ Schwester Helen wird nun im Himmel Gottes Arbeit tun, so vorbildlich, wiesie sie auf Erden getan hat. Sie

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