Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
als einem Monat um Jahre gealtert zu sein. Falten hatten sich in seine Züge eingekerbt, und unter seinen müden Augen lagen tiefe Schatten. Aber das Erschreckendste war das starke Schwitzen. Wir hatten November, doch die Haut seines Gesichts war so feucht wie an einem glühenden Hochsommertag.
Erschrocken fasste ich ihn am Ärmel. »Ihr seid selbst krank, Bruder Edmund.«
»Aber nein.«
»Doch, ich sehe es Euch an«, widersprach ich. »Kann ich etwas für Euch tun?«
Bruder Edmund schüttelte den Kopf. »Nichts. Ihr seid keine Heilkundige, Schwester Joanna, und ganz gewiss kein Arzt. Ihr wisst nichts über Krankheiten.«
Ich konnte kaum etwas sehen durch meine Tränen. Was für ein albernes Gehabe, aber ich konnte nichts dagegen tun. Doch Bruder Edmund bemerkte meine Tränen gar nicht. Er stand schon an seinem Schrank und suchte nach den geeigneten Kräutern für seine Schwester und hatte ihr, als Schwester Rachel ins Hospital zurückkehrte, bereits einen frisch zubereiteten Umschlag aufgelegt.
Auch Schwester Rachel machte kein Hehl aus ihrer Freude über seine Rückkehr, zeigte aber sogleich auch ihre Bestürzung über sein Aussehen.
»Ich sagte doch schon, ich bin nicht krank«, erklärte er schroff und ungeduldig. »Erlaubt mir jetzt bitte, mich ungehindert der Pflege meiner Schwester zu widmen.«
Schwester Rachel rauschte tief beleidigt hinaus. Ich erinnerte mich, mit welchem Feingefühl Bruder Edmund sich bei seiner Ankunft in Dartford im Oktober eingeführt hatte, wie sehr er sich bemüht hatte, die Wogen zu glätten, als er sie im Hospital ablöste. Es war, als wäre er ein anderer Mensch geworden.
Aber war das so verwunderlich? Drei Wochen lang hatte er im Kerker gesessen, des Mordes angeklagt. Niemand kannte die schrecklichen Auswirkungen der Gefangenschaft auf Leib und Seele besserals ich. Ich beschloss, mich nicht kränken zu lassen, auch wenn er noch so schroff sein sollte.
Unter seiner liebevollen und kundigen Pflege erholte sich Schwester Winifred auf bemerkenswerte Weise. Ihr Blick wurde wieder glänzend und klar, und sie begann wieder zu essen. Wenn ich sie fütterte, saß Bruder Edmund auf einem Hocker an ihrer Seite und wandte keinen Blick von ihr.
»Ich danke Euch, Schwester Joanna, dass Ihr Euch so um meine Schwester sorgt«, sagte er ruhig.
Das war wieder die vertraute Stimme. Seinem schweißfeuchten Gesicht sah ich an, dass er immer noch nicht wohl war, aber ich sagte nichts mehr über sein Aussehen. Ich wollte ihn nicht von Neuem verärgern.
»Hat Geoffrey Scovill Euch nach Dartford gebracht?«, fragte ich.
Er runzelte die Stirn. »Nein, Richter Campion hat meine Freilassung veranlasst. Scovill habe ich seit der gerichtlichen Untersuchung nicht mehr gesehen. Warum fragt Ihr?«
»Kein besonderer Grund«, murmelte ich und führte den nächsten Löffel Brühe zu Schwester Winifreds Mund.
Wenig später läuteten die Glocken, und ich eilte in die Kirche, um Gott für Bruder Edmunds Rückkehr zu danken. Aber im Gang, kurz vor dem Kirchenportal, fing Schwester Agatha mich ab. »Sie sind hier«, flüsterte sie.
»Wer?«
»Die königlichen Kommissare, Richard Layton und Thomas Legh.« Sie verzog angewidert den Mund. »Sie wohnen mit einem ganzen Trupp von Leuten in einem Gasthaus in Dartford. Morgen werden sie in aller Form hier vorsprechen und mit der Befragung der Priorin beginnen. Gott sei Dank, dass Bruder Edmund vor ihrer Ankunft freigelassen worden ist.«
Mir klopfte das Herz bis zum Hals. »Was passiert jetzt?«
»Das weiß niemand.« Sie zupfte an ihrem Kinn. »Wie die Priorin sagte, es liegt in Gottes Hand.«
Ich bezweifle, dass in dieser Nacht auch nur eine von uns gut schlief. Ich hörte, wie Schwester Christina sich auf ihrem Lager von einer Seite auf die andere warf, und wusste, dass es ihr nicht anderserging als mir. Sobald ich von der Entscheidung der Kommissare über das Schicksal unseres Klosters erfuhr, wollte ich Bischof Gardiner schreiben und den Brief im Leprahospital hinterlegen. Vor zwei Wochen hatte ich ihm in meinem zweiten Schreiben lediglich Lord Chesters Ermordung und Bruder Edmunds Festnahme mitgeteilt, mehr nicht. Die Entdeckung der Krone inmitten der Lilien über dem Klosterportal und an den Kapitellen der Säulen im Kapitelhaus hatte mich bei meinen Nachforschungen ebenso wenig weitergebracht wie die Geschichte von König Athelstan und der Krone, dem Geschenk von Hugo Capet, mit der er in die Schlacht gezogen war. Ich war sicher, dass dem Bischof das
Weitere Kostenlose Bücher