Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
Vom Netzwerk:
Sobald der Wagen anhielt, stieg ich aus und lief zu Geoffrey.
    Er wandte sich von den anderen ab, um mit mir zu sprechen.
    »Habt Ihr der Priorin berichtet?«, fragte ich.
    »Noch nicht.« Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar.
    »Aber sie muss wissen, dass die Kinder eine Frauenstimme gehört haben, dass in der Nacht eine Frau da war.«
    »Das ist schon bekannt«, sagte Geoffrey.
    »Aber   – aber   – wie?«, stammelte ich.
    »Das Kloster wurde von diesen drei Männern davon unterrichtet, dass Lady Chester sich heute aus dem Fenster ihres Hauses gestürzt hat. Sie hat einen Brief hinterlassen, in dem sie um Vergebung bittet. Offenbar hat sie selbst ihren Mann getötet und sich aus Verzweiflung das Leben genommen.«

Kapitel 35
    Auf Betreiben meiner Mutter hatte ich als Kind einen Hauslehrer gehabt, der mich in Mathematik, Literatur und Philosophie unterwies und mich Latein und Griechisch lehrte. Er war ein hervorragender Lehrer, und ich trauerte, als er Stafford Castle verlassen musste, weil wir nicht mehr das Geld aufbringen konnten, ihn zu bezahlen. Er lehrte mich die kompliziertesten Gleichungen lösen, und ich erinnere mich heute noch, wie es war, wenn ich die Lösung hatte: Plötzlich war alles klar und fügte sich wie von selbst zusammen.
    So erging es mir, als Geoffrey Scovill mir berichtete, dass Lady Chester ihren Mann getötet hatte.
    Und doch meldeten sich bereits einen Augenblick später Unbehagen und Zweifel. Gewiss, Lord Chester war ein liebloser und abscheulicher Ehemann gewesen; daran gab es keinen Zweifel. Er hatte seine Frau bei dem Festmahl in unverzeihlicher Weise gedemütigt. Und es war schwer zu glauben, dass sie bei dem Mord im Nebenzimmer einfach weitergeschlafen hatte. Aber ich hatte ihre Schreie an jenem Morgen gehört, ich hatte sie blind vor Angst und Entsetzen durch den Gang taumeln sehen, nachdem der Leichnam entdeckt worden war. Konnte sie eine so gute Schauspielerin sein? Und was war mit dem Reliquiar   – wie hatte sie es aus der Kirche entwendet? Diese Nachricht von ihrem Selbstmord beantwortete zwar einige Fragen, aber sie warf auch neue auf.
    Geoffrey war ans Feuer zurückgekehrt. »Ehrwürdige Priorin, das ist jetzt sehr wichtig«, sagte er laut. »Hat heute Nachmittag irgendein Mitglied des Klosters das Haus verlassen, außer Schwester Agatha und Schwester Joanna?«
    »Nein«, antwortete die Priorin.
    »Seid Ihr sicher?« Er sah den Pförtner an.
    »Ich war den ganzen Tag vorn, Constable«, sagte Gregory. »Die Tür zur Klausur war die ganze Zeit abgesperrt, niemand außer unserer Priorin ist aus und ein gegangen.«
    Geoffrey nickte und eilte zu seinem Pferd.
    »Wartet.« Ich lief ihm nach, aber er saß schon im Sattel und zog an den Zügeln. »Habt Ihr Zweifel?«
    »Nicht an Lady Chesters Selbstmord«, sagte er. »Ihre Bediensteten haben sie am Fenster stehen und dann hinausspringen sehen. Das Schreiben, das in ihrem Zimmer gefunden wurde, ist eindeutig.«
    »Aber irgendetwas gibt Euch doch zu denken«, beharrte ich. »Sagt es mir.«
    Der flackernde Feuerschein verzerrte sein Gesicht auf seltsame Weise. »Ich war von Anfang an nicht überzeugt, dass Lord Chester einzig wegen der Geschehnisse bei dem Festmahl ermordet wurde.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Erinnert Euch, was er an jenem Abend gesagt hat: ›
Ich
weiß
, dass Ihr Geheimnisse habt. Niemand als ich weiß besser um die Geheimnisse von Kloster Dartford
.‹«
    Mich fröstelte. »Ihr glaubt, dass er wegen der Geheimnisse, die er kannte, getötet wurde?«, fragte ich.
    Er zog sein Wams gerade. »Gegenwärtig ist meine Meinung nicht wichtig. Ich muss nach Rochester. Der Coroner und der Richter müssen unverzüglich von Lady Chesters Selbstmord unterrichtet werden.«
    »Heute Abend noch?«, fragte ich beunruhigt. »Ist es nicht gefährlich, nach Einbruch der Dunkelheit eine so weite Strecke zu reiten? Habt Ihr nicht Angst vor Wegelagerern?«
    Geoffrey neigte sich mit einem Lächeln zu mir herunter. »Möchtet Ihr denn nicht Bruder Edmund so schnell wie möglich frei sehen? Ich dachte, das wäre Euch wichtiger als alles andere.«
    Ehe ich etwas erwidern konnte, richtete er sich im Sattel auf und ritt davon.
    An diesem Abend spürte ich zaghafte Hoffnung im Refektorium und in den Gängen des Klosters. Bald würde ganz England wissen, dass es kein Ordensbruder gewesen war, der den adeligen Gast getötet hatte. Wenn die Kommissare des Königs eintrafen, um Dartford zu inspizieren, würde dieser finstere

Weitere Kostenlose Bücher