Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
als sie mit fünfzehn Jahren nach England gekommen war, um den Prinzen von Wales zu heiraten.«
Der Bischof beugte sich gespannt vor. »Lasst jetzt nichts aus. Berichtet mir ganz genau, was sich abgespielt hat.«
Ich schluckte. »Es war die Nacht, in der Dr. de la Sa verschlief. Nachts versahen wir beide den Dienst bei der Königin gemeinsam. Das war stets die Zeit, zu der sie besonders …« Ich suchte nach dem passenden Wort.
»… gefährdet war?«, meinte der Bischof.
Wieder hatte er meinen Gedanken genau erfasst.
»Nach meiner Ankunft in Kimbolton erklärte mir Dr. de la Sa, dass stets einer von uns beiden an der Seite der Königin wachen müsse. Ich harrte also am Lager der Königin aus, obwohl ich selbst todmüde war, und rief niemand anderen. Dr. de la Sa kam und kam nicht. Ich fürchtete, wenn eine der anderen Damen meine Müdigkeit bemerkte, würde sie darauf bestehen, dass ich zu Bett ginge. Das konnte ich nicht zulassen.«
»Aber warum? Warum musste stets er oder Ihr an ihrer Seite verweilen?«
Es überraschte mich, dass der Bischof das fragen musste. »Gift«, antwortete ich. »Dr. de la Sa sagte, in ganz Europa sei bekannt, dass die Boleyns die Königin vergiften wollten. Sie hatten es schon bei Fisher versucht, der sich am leidenschaftlichsten für sie eingesetzt hatte. Die Königin durfte nichts zu sich nehmen, was nicht vorher in seiner oder meiner Gegenwart vorgekostet worden war.«
»Und wieso vertraute er Euch mehr als den anderen? Gab es nicht viele Hofdamen, die länger in den Diensten Katharinas gestanden hatten als Ihr?«
»Wegen meiner Mutter – wegen meiner spanischen Herkunft«, antwortete ich.
Der Bischof zog die Brauen hoch. »Ach, alle Engländer sind von Natur aus mögliche Giftmischer?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Das war Dr. de la Sas Bild von den Engländern. Und auch das meiner Mutter. Dass man den Engländern niemals ganz trauen könne.«
»Und habt Ihr irgendwelche Hinweise auf Gift gefunden?«, fragte er.
»Nein«, bekannte ich. »Und sie aß ja ohnehin nur sehr wenig.«
Er nickte. »Berichtet mir von der Nacht, die Ihr mit ihr allein verbracht habt.«
»Zunächst sprach sie von König Heinrich VII., ihrem Schwiegervater.« Ich stockte kurz. »Es war nicht besonders freundlich. Zum ersten Mal hörte ich aus ihrem Mund Kritik an einem anderen.«
»Lasst nichts weg, hört Ihr?«
»Ich merkte nicht gleich, dass sie vom alten König Heinrich sprach. Sie redete immer von einem Bettler. ›Er war ein Bettler‹, sagte sie, ›ein Bettler im Exil.‹ Danach war sie eine Weile still, bis sie sagte: ›Niemand hätte geglaubt, ein Tudor könnte König von England werden.‹ Und dann: ›Ein Bettler kann kein gütiger König sein.‹ Das sagte sie drei Mal.
Sie erzählte mir, er habe jeden Tag um seine Macht und seinen Reichtum gebangt. Ihre genauen Worte lauteten: ›Er war so grausam und so argwöhnisch. Er war grausam zu seiner Ehefrau und zu seinen Söhnen. Er war innerlich verbogen. Und er hat seinen Sohn verbogen.‹«
»Von welchem Sohn sprach sie?« Wir wussten beide, dass Katharina von Aragón dem Prinzen von Wales versprochen worden war, um das Bündnis zwischen Spanien und England zu stärken. Doch der Prinz war fünf Monate nach der Eheschließung gestorben. Daraufhin war sie mit seinem jüngeren Bruder verheiratet worden, dem späteren Heinrich VIII.
»Von Arthur. Sie sagte: ›Der Prinz konnte die Ehe nicht vollziehen. Er hatte Todesangst vor seinem Vater. Er wollte ein Mann sein. Deshalb brachte er mich nach Dartford ins Kloster.‹«
Ich hörte, wie der Bischof scharf die Luft einsog. »Das waren ihre Worte?«
»Ja.«
»Was hat sie dann noch gesprochen?«
»Nicht viel. Sie sagte: ›Der Mythos ist wahr. Der arme Arthur.‹ Danach schwieg sie wieder lange. Ich glaubte, sie wäre eingeschlafen. Aber sie stöhnte plötzlich und rief dann so laut, dass ich glaubte, sie würde die Damen im Nebenzimmer wecken: ›Ich habe mich geirrt. Er ist schlimmer als der Vater. Lieber Herr Jesus, behüte meine Tochter.‹«
»Damit meinte sie König Heinrich VIII.?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Danach ist sie eingeschlafen.«
Der Bischof verharrte eine ganze Weile in grüblerischem Schweigen. »Aber wann hat sie von der Athelstan-Krone gesprochen?«
»In der Nacht bevor sie starb. Unmittelbar nachdem der Botschaftersich verabschiedet hatte, traf endlich ihre ehemalige Hofdame Maria de Salinas ein. Sie war, wie meine Mutter, damals mit
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