Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
sie dem König zu?«
»Nein. Kein Tudor hat diese Krone je getragen – und auch kein Plantagenet.«
»Ist es eine Reliquie?«, fragte ich.
Das Lächeln des Bischofs glich einer Grimasse. »Ihr habt einen wachen Verstand, Schwester Joanna.« Er ging zum anderen Ende des Gemachs. Das Sonnenlicht, das durch die zweiflügeligen Bogenfenster hereinfiel, strömte über sein Gesicht.
»Es ist mehr als eine Reliquie«, sagte er leise.
»Mehr?« Das verstand ich nicht.
»Cromwell und sein Handlanger Richard Rich sowie die anderen Ketzer – sie alle machen sich lustig über Reliquien, Heiligtümer und die Gedenktage der Heiligen. Sie nennen es Aberglaube und arbeiten Tag und Nacht daran, die katholische Kirche zu vernichten. Aber die Athelstan-Krone lässt sich nicht vernichten. Sie kann nicht geleugnetwerden. Wenn sie in meinem Besitz wäre, könnte ich Cromwell unter Druck setzen und seinem Treiben Einhalt gebieten.«
Er schlug leicht die langgliedrigen Finger aneinander, während er vermutlich überlegte, wie viel er mir verraten sollte. Ich drängte ihn nicht. In meiner Nähe stand ein Schrank mit neu gebundenen Büchern. Ich las die Wörter auf den Einbänden. Auf einem sehr edlen purpurroten war der Titel
Der Fürst
eingraviert.
»Die Athelstan-Krone besitzt mehr als nur geschichtliche Bedeutung«, sagte er schließlich. »Erinnert Euch an die Worte Katharinas von Aragón.«
»›Der Mythos ist wahr‹«, sagte ich leise. »Es gibt also einen Mythos?«
Das Gesicht des Bischofs war bleich geworden. »Ja. Und es gibt eine Prophezeiung. Die Verheißung eines sagenhaften Preises, der jedoch nicht ohne großes Wagnis zu erlangen ist. Die Krone ist ein Segen und ein Fluch. Sie ist mit Kräften ausgestattet, Schwester Joanna, die niemals entfesselt wurden, weil sie das Leben jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes in England und über Englands Grenzen hinaus verändern würden.«
Mich schauderte.
»Musste sie deshalb verborgen werden?«
Lautes Klopfen an der Tür ließ uns beide zusammenzucken. Der Bischof lachte ein wenig und legte mir die Hand auf die Schulter, als wollte er uns beiden Halt geben. Ich schreckte vor der Berührung zurück. Er merkte es nicht.
Der junge Hauptmann war an der Tür.
»Exzellenz, Euer Sekretär ist mit zwei Ordensbrüdern hier«, meldete er.
»Ah ja.« Der Bischof wandte sich mir zu. »Es gibt viel zu tun. Wartet hier.«
Er schloss die Tür hinter sich.
Monatelang hatte ich keine Ordensbrüder und -schwestern mehr gesehen. Neugierig schaute ich zum Fenster hinaus. Der Bischof stand mit drei Männern auf dem Anger. Einer von ihnen, ein junger Priester, der Sekretär, vermutete ich, hielt ein Bündel Dokumente. Die zwei anderen Männer trugen über gegürteten weißen Tunikenschwarze Kapuzenmäntel, die an den Schultern gerafft waren, die Ordenstracht der Dominikaner. Der eine Mönch war groß und dünn mit hellem Haar, der andere war korpulenter und viel dunkler. Sie waren beide vielleicht dreißig – weit jünger als die betagten Ordensbrüder, die ich von Dartford her gewöhnt war. Während der Bischof lebhaft auf sie einredete, hörten sie mit gefalteten Händen und gesenkten Köpfen ehrerbietig zu.
Nach einiger Zeit führte der Bischof die Brüder in den Bell Tower und trat wenig später mit ihnen in das Zimmer, in dem ich wartete.
»Das ist Schwester Joanna Stafford, Novizin im Kloster Dartford«, verkündete er mit großer Geste, als handelte es sich um ein neues Gemälde, das er in Auftrag gegeben hatte.
Die beiden Ordensbrüder musterten mich skeptisch. Ich trug keine Tracht.
»Gestattet, dass ich Euch Bruder Edmund vorstelle«, fuhr der Bischof fort, und der Hellhaarige neigte anmutig den Kopf. »Und Bruder Richard.« Der Dunklere verneigte sich kurz. Sein Blick war kalt und berechnend.
»Ihr werdet in einer Stunde aufbrechen«, erklärte der Bischof ihnen. »Zuvor lasse ich Euch zu essen bringen. Ihr müsst vor der Reise speisen.« Er wandte sich mir zu. »Dartford darf sich glücklich schätzen, dass diese Brüder ihm zu Diensten stehen werden.«
»Dartford?«, rief ich.
»Sie sind beide hochgeschätzte Mitglieder der dominikanischen Gemeinschaft in Cambridge, deren Zerschlagung Cromwell befohlen hat.« Bruder Richard zuckte bei dem Wort
Zerschlagung
zusammen. Bruder Edmunds hellhäutiges Gesicht verriet keine Reaktion. Der Bischof sprach weiter. »Seit einigen Monaten schon wird geplant, sie nach Dartford zu entsenden. Bisher lebten in Eurem Kloster
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