Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Woche erboten, diese Aufgabe zu übernehmen. Sie erlaubte mir, mit den Kindern zusammen zu sein, die ich immer gern gehabt hatte, und den Nonnen und ihrer unverhüllten Missbilligung eine Weile zu entkommen. Als Bischof Gardiner im Bell Tower von meiner Rückkehr gesprochen hatte, hatte ich mich danach gesehnt, das Leben in Gott wieder aufzunehmen, wieder Teil einer schönen und edlen Gemeinschaft zu sein. Ich hatte nicht bedacht, dass die Aufnahme in diese Gemeinschaft auf Vertrauen beruhte. Dieses Vertrauen aber war nun verloren, so tot und begraben wie die Priorin Elizabeth, die unter dem Altarraum der Kirche neben den früheren Priorinnen von Dartford zur letzten Ruhe gebettet worden war.
An diesem Morgen hatte ich nach dem Hochamt die Beichte abgelegt. Es hatte mir große innere Qual bereitet. Am Tag nach meiner Rückkehr hatte ich alle Sünden gebeichtet, die ich in Smithfield und im Tower auf mich geladen hatte, bis auf meine geheime Abmachung mit Bischof Gardiner. Obwohl ich wusste, dass diese Unterlassung mich in Verdammnis stürzen würde, konnte ich nichts über meine Suche nach der Krone sagen. Ich hatte geschworen, mit niemandem darüber zu sprechen, und das galt auch für den guten alten Bruder Philip, unseren Priester und Beichtvater. Aber wenngleich einzig die Angst um meinen Vater mich dazu getrieben hatte, diese Sünde zu begehen, konnte ich ohne den reinigenden Akt einer aufrichtigen Beichte nicht auf das Geschenk der Gnade hoffen.
Mit dem Korb am Arm stieß ich tief gedrückt die Speisekammertür auf. Sie führte in den Nutzgarten und die Obstgärten, an die sich die Scheune und die Brauerei anschlossen.
Die Mutter der Kinder, Lettice Westerly, die erste Wäscherin des Klosters, war eine gutmütige und fleißige Frau, die einen Monat vormeiner Rückkehr nach Dartford mit heftigen Kopfschmerzen zusammengebrochen war. Ihr Zustand verschlechterte sich stetig, und nun lag sie, kaum noch bei Bewusstsein, im Klosterhospital. Schon vor ihrer Krankheit waren die Kinder im Kloster gern gesehene Gäste gewesen. Jetzt waren sie jeden Tag hier. Niemand hatte das Herz, es ihnen zu verwehren.
»Kinder?«, rief ich laut.
»Schwester Joanna – hier sind wir.«
Wie kleine Kobolde, die unmittelbar den Büschen entsprungen waren, tauchten die kindlichen Gestalten vor mir auf.
Ich hielt den Korb hoch. Als Erster war Harold bei mir, ein stämmiger Junge. Ihm folgte die Kleinste, Martha, der Frechdachs, keine vier Jahre alt, mit ihrer Puppe im Arm. Als Letzte gesellte sich die neunjährige Ethel zu uns, ihr Gemüt von Trübsinn verdunkelt, den ich ihr nicht verübeln konnte. Sie war alt genug, um zu begreifen, welches Schicksal ihrer Familie drohte.
Während sich die Kinder hungrig über das Essen hermachten, musterte ich sie: schmutziger und unordentlicher als sonst. In Marthas verfilzten Haaren hing sogar ein abgebrochenes Stöckchen.
»Ethel, wann wart ihr das letzte Mal zu Hause?«, fragte ich. Ich hatte den Verdacht, dass sie in einem der Nebengebäude des Klosters nächtigten, um ihrer Mutter nahe zu sein. Im Freien konnten sie nicht übernachten – es war zu kalt, und in der vergangenen Nacht hatte es geregnet, doch ihre Kleider waren nicht feucht.
Ethel zuckte mit den Schultern und stopfte sich den größten Kanten Brot in den Mund.
»Das geht so nicht, es ist gefährlich«, sagte ich. »Ihr müsst im Dorf bei eurem Vater bleiben.«
»Aber der ist nie da, Schwester«, protestierte Harold.
Ich sah Ethel fragend an. »Er ist wieder nach London gefahren«, erklärte sie verdrossen. »Er sagt, in Dartford gibt’s nicht genug Arbeit für einen Lumpensammler.«
Ich setzte mich auf einen Baumstumpf, zog Martha auf meinen Schoß und versuchte, das Stöckchen aus ihren Haaren zu lösen. Ich wusste, dass mein Zupfen und Ziehen in den verfilzten Haaren ihr wehtat, aber sie klagte nicht. In der einen Hand hielt sie ihre grinsendeLumpenpuppe und mit der anderen streichelte sie den groben Stoff meines Habits. Als ich das Stöckchen endlich herausgezogen hatte, sah sie zu mir hinauf. »Willst du unsere Mutter sein, wenn sie tot ist?«, fragte sie mit ihrem hellen Stimmchen.
»Ja, ja!« Harold klatschte in die Hände. »Dich haben wir am liebsten. Heirate unseren Vater. Bitte!«
Ich tätschelte Marthas magere Schultern. »Nein, Kinder«, sagte ich, so liebevoll es ging. »Ihr wisst, dass ich euch immer helfe, aber das geht nicht. Ich bin Novizin hier im Kloster.«
»Ich hab euch ja gleich gesagt, dass
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