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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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kurze Ansprache ausgezeichnet hatte. Die Messe fand so spät statt, dass schon nach kurzer Zeit die Glocken erneut läuteten und uns zur Matutin riefen.
    Als wir später die Treppe hinauf zu unserem Schlafraum gingen, versuchte ich, Schwester Christina mein Verständnis zu bekunden. Ich wollte nicht, dass sie es womöglich als Kritik auslegte, wenn ich schwieg. Die Verfehlungen ihrer Eltern waren nicht die ihren.
    »Schwester Christina«, begann ich, »Euer Leben, bevor Ihr nach Dartford kamt, muss   –«
    »Ich bitte Euch, Schwester Joanna fragt mich nichts«, unterbrach sie mich gepeinigt. »Sagt nichts über meine Eltern   – über meinen Vater. Ich kann nicht über ihn sprechen. Gerade Ihr müsstet doch verstehen, dass es unmöglich ist, über ihn zu sprechen.«
    »Natürlich, Schwester.«
    Als wir uns auf unseren Strohlagern ausgestreckt hatten, schaute Schwester Agatha bei uns herein. »Schwester Winifred schläft heute im Hospital. Es geht ihr gar nicht gut. Bruder Edmund bleibt bei ihr und kümmert sich um sie.«
    Sie richtete ihren Blick auf mich und schüttelte sich, dass ihre Hängebäckchen zitterten. »Nie zuvor hat es dergleichen in Kloster Dartford gegeben. Ich kann mir nicht vorstellen, was   –«
    »Gute Nacht, Schwester Agatha«, sagte Schwester Christina schroff und drehte sich zur Wand.
    Ich blies die Kerze aus.
    Lange konnte ich nicht einschlafen. Immer wenn ich gerade in einen Traum zu sinken schien, schreckte ich hoch und war wieder hellwach. Ich fand keine Ruhe, konnte den quälenden Gedanken nicht entfliehen. Immer wieder hörte ich die Musikstücke, die wir gespielt hatten, sah das Handreliquiar auf dem Tisch, schreckte vor den gottlosen Reden Lord Chesters zurück.
    Als kurz vor der Dämmerung die Glocken zu den Laudes läuteten, fühlte ich mich wie gerädert, und mein Kopf schmerzte. Ich sah hinüber zu Schwester Christina, die auf dem Rand ihres Lagers saß und sich ihren Habit überzog, sie schien so unausgeschlafen wie ich.
    Auf dem Weg zur Kirche bemerkte ich, dass auch die anderen Schwestern abgespannt, ja erschöpft wirkten. Niemand hatte in dieser Nacht gut geschlafen. Schwester Rachel sah aus, als wäre sie über Nacht zehn Jahre gealtert.
    Schwester Christina und ich warteten am Ende des Zugs, der sich in die Kirche bewegte, als ein langgezogener Schrei durch den Gang schallte. Das war nicht der Angstschrei eines Tieres vor der Schlachtung. Es war der Entsetzensschrei einer Frau.
    Schwester Christina starrte mich an. »Das ist meine Mutter.«
    Ich nahm sie bei der Hand, und gemeinsam rannten wir zu der Tür, die ins Vorderhaus führte.
    »Gregory«, schrie ich, wie wild an die Tür hämmernd. »Lass uns ein! Sperr die Tür auf!«
    In kürzester Zeit kam auch die Priorin mit Schwester Eleanor und Schwester Agatha. Ein paar Schritte hinter ihnen folgte Bruder Richard.
    »Geht wieder in die Kirche«, befahl die Priorin Schwester Christina und mir.
    »Aber sie sagt, es ist ihre Mutter«, protestierte ich.
    Als die Tür sich öffnete, stand uns ein kreidebleicher Gregory gegenüber. Schwester Christina und ich drängten uns an ihm vorbei und rannten zum Gästequartier. Es lag auf der Westseite, ganz hinten in dem Gang, an dessen anderem Ende das Amtszimmer der Priorin war.
    Wir hatten es fast erreicht, als Lady Chester uns taumelnd entgegenkam.In dem schwarzen Kleid, das sie am Abend zuvor getragen hatte, tastete sie sich an der Wand entlang wie eine Blinde. Dann fiel sie ihrer Tochter in die Arme.
    »Geht nicht in das Zimmer, Schwester Joanna   – halt!«, rief die Priorin Joan hinter mir.
    Ich hielt nicht an. Schon wieder ungehorsam. Ich weiß nicht, was mich diesen Gang hinuntertrieb, an Lady Chester vorbei, in das Gästequartier. Es war, als wartete dort eine Antwort auf mich und ich müsste umkommen, wenn ich sie mir nicht holte.
    Die zweite Tür, die zum Schlafgemach, stand offen, und ich stürmte, ohne anzuhalten, in das Zimmer.
    Ich sah ihn sofort. Lord Chester saß halb aufgerichtet im Bett. Auch er trug noch die schwarzen Kleider vom Vorabend, Zeichen seiner Trauer um Königin Jane, aber sie waren blutdurchtränkt. Und Blut klebte auch am Kopfbrett des Betts und an der Wand dahinter. Die linke Seite seines Kopfes war zerschmettert. Sein linkes Auge fehlte, nur Blut, Knochen und Gewebe waren übrig. Das rechte Auge quoll in einem starren Ausdruck ungläubiger Verwunderung fast aus seiner Höhle.
    Auf dem Boden neben dem Bett lag, in blutverschmierte Stücke

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