Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Zuständigkeit des Bischofs von Rochester fällt. Die Stadt ist nicht weit entfernt, einen Tagesritt höchstens, und groß genug, um einen eigenen Coroner zu haben. Das sind Leute, die mit Mordfällen Erfahrung haben, die wissen,wie man eine ordentliche Untersuchung durchführt. Wenn wir jetzt gleich Alarm schlagen, sollte er morgen hier sein.«
Die Priorin warf einen furchtsamen Blick zurück zum Schlafgemach, als erwartete sie, dass jeden Moment der Geist des toten Lord Chester durch die Tür treten würde.
»Dann soll es so geschehen«, sagte sie resigniert. »Gregory, schickt einen zuverlässigen Mann mit einer Botschaft nach Rochester. Und lasst die Männer hier jeden Zoll des Geländes nach Spuren eines Eindringlings absuchen.«
Sie wandte sich unserer ängstlich zusammengedrängten Gruppe zu. »Bis zu Beginn der Untersuchung werdet Ihr alle Euren gewohnten Aufgaben nachgehen. Sorgt nur dafür, dass nie jemand allein ist. Wir müssen in Gruppen bleiben, oder wenigstens in Paaren.«
Ich half zunächst bei der Reinigung des Refektoriums, dann eilte ich ins Hospital, um nach Schwester Winifred zu sehen. Zur Seite gedreht, die Knie beinahe bis zum Kinn hochgezogen, lag sie auf ihrem Lager. Sie schien tief zu schlafen, aber als ich näher kam, bemerkte ich, dass ihre Augen geöffnet waren. »Schwester Winifred«, sagte ich leise. »Wie geht es Euch?« Sie schauderte nur, ohne mir zu antworten.
Beunruhigt fragte ich Bruder Edmund: »Könnt Ihr ihr nicht helfen?«
»Die Zeit und Gebete werden ihr helfen«, antwortete er mit dem Rücken zu mir. Er saß vor seiner Retorte, die auf einem großen Tisch stand, und gab durch die Öffnung eine Handvoll Kräuter in den Trichter.
»Kann ich vielleicht etwas tun? Soll ich etwas zu essen holen? Oder etwas anderes?«
Er schüttelte den Kopf. Erst als ich um den Tisch herumging, konnte ich ihm ins Gesicht blicken. Falten um Augen und Mundwinkel verrieten seine tiefe Erschöpfung. Zweifellos hatte er die ganze Nacht nicht geschlafen.
Ich senkte meine Stimme zu einem Flüstern. »Weiß sie von der Ermordung Lord Chesters?«
»Nein, ich möchte es ihr noch nicht sagen.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist ein schreckliches, schreckliches Unglück.«
»Ihr trauert um Lord Chester?«, fragte ich erstaunt.
Bruder Edmund nickte. »Er war ein gewalttätiger Mensch, zügellos und grausam, aber er war ein Geschöpf Gottes. Und nun muss ich mit meiner Sünde leben, ohne seine Vergebung gewonnen zu haben.«
»Mit Eurer Sünde?«
»Jähzorn«, sagte er niedergeschlagen. »Seit meiner Kindheit plagt er mich. Ich habe gebetet, ich habe mich nach Kräften bemüht …« Seine Stimme verklang. »Ich hätte gestern Abend ein friedliches Mittel finden müssen. Immer werde ich diesen Fehler bereuen.«
»Bruder Edmund, bitte, macht Euch doch keine Vorwürfe«, sagte ich.
Sein Gesicht entspannte sich ein wenig. »Ihr seid sehr gütig, Schwester Joanna«.
»Gütig?« Ich war erstaunt. »Diese Eigenschaft hat noch niemand bei mir festgestellt.«
»Dann hat niemand die Augen aufgemacht«, entgegnete er.
Die Retorte zischte und gurgelte. Er nahm seine Arbeit wieder auf, und ich eilte hinaus. Ich war Lob nicht gewöhnt. Meine Mutter hatte immer nur korrigiert und nie gelobt. Die beiden einzigen Menschen, die Lobenswertes an mir gesehen hatten, waren die Priorin Elizabeth und, viele Jahre zuvor, meine Cousine Margaret. Beide waren tot.
Am nächsten Tag brach zur Mitte des Vormittags aufgeregte Geschäftigkeit aus. Der Coroner war, wie ich hörte, bereits eingetroffen. Am Nachmittag begab ich mich, wie befohlen, in die Weberei und tat dort in Stille, allein mit Schwester Helen, meine Arbeit. Unsere Schiffchen flogen lautlos hin und her, nur manchmal knarrten die Pedale. Die Hässlichkeit und Gewalt dieser Welt waren nun bis in unser Kloster vorgedrungen. Wir mussten mit allen Kräften versuchen, der Schönheit Raum zu geben.
In der Stille konnte ich ungestört über die letzten Ereignisse nachdenken, und es dauerte nicht lang, da regte sich tiefes Unbehagen in mir. Die Krone, von der zweifellos große Gefahr ausging, war hier, im Kloster, verborgen. Lord Chester hatte sich damit gebrüstet, unsere Geheimnisse zu kennen. »
Niemand weiß besser als ich um die Geheimnisse von Kloster Dartford.«
Nur Stunden später war er mitroher Gewalt getötet worden. Zum ersten Mal fragte ich mich, ob er zum Schutz der Krone getötet worden war. Aber wer außer mir wusste von ihrer Existenz und ihren
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