Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
geschlagen, das Reliquiar von Kloster Dartford. An den zwei ausgestreckten Fingern der weißen Hand hing ein Büschel von Lord Chesters braunem Haar.
Kapitel 28
Am Nachmittag des folgenden Tages war ich die einzige Novizin in der Weberei. Allein mit Schwester Helen, saß ich am Webstuhl und arbeitete die weißen und blauen Fäden ein. Schwester Christina tröstete im Lokutorium ihre verzweifelte Mutter, und Schwester Winifred hielt sich noch im Hospital auf. Wo Schwester Agatha war, wusste ich nicht.
Bis zur Ankunft des Coroners musste ich meinen Pflichten nachgehen wie jeden Tag.
In den ersten Minuten nach der Entdeckung des Toten herrschte großer Aufruhr. Die Priorin Joan und Bruder Richard, die nach mir in das Zimmer gelaufen kamen, zogen sich sofort entsetzt wieder zurück. Die Priorin befahl, den Raum zu versiegeln und zu bewachen.
»Im Kloster läuft ein Mörder frei herum!«, kreischte Schwester Agatha draußen im Gang. »Die Knechte müssen das ganze Kloster durchsuchen. Der Mann kann sich immer noch irgendwo hier aufhalten.«
Bruder Richard entgegnete: »Seid nicht albern, er wurde schon vor Stunden getötet. Glaubt Ihr, der Mörder würde hier verweilen? Er ist längst über alle Berge.«
Mit einem Ruck drehte er sich nach Gregory um. »Hast du gestern Abend auch alle Türen abgesperrt?«, fragte er.
»Natürlich«, antwortete Gregory beleidigt. »Es ist schließlich meine Hauptaufgabe, dafür zu sorgen, dass alles abgeschlossen ist. Niemand konnte von außerhalb des Klosters in das Gästequartier gelangen – und ebenso wenig von der Klausur aus. Die Tür wurde abgesperrt, sobald wir Lord Chester zu Bett gebracht hatten, genau wie die Priorin gebot. Es konnte niemand hinein und es konnte niemand hinaus. Das würde ich vor dem König selbst beschwören.«
»Und die Fenster?«, fragte Schwester Eleanor.
Gregory schüttelte den Kopf. »Ich habe sie alle geprüft. Sie sind geschlossen und gesichert.«
Schwester Agatha flüsterte: »Ihr wollt doch nicht sagen, dass Lady Chester …?«
»Glaubt Ihr, sie hätte uns gebeten, ihn hier übernachten zu lassen, um ihn töten zu können?«, fragte Bruder Richard ungeduldig.
»Schweigt!«, befahl die Priorin heftig. »Schluss mit den Mutmaßungen und dem Klatsch. Wir werden unverzüglich den Bischof von Rochester unterrichten; das ist eine Angelegenheit für die Kirchengerichtsbarkeit.«
»Die Kirchengerichtsbarkeit?«, wiederholte Bruder Richard ungläubig. »Hier wurde ein Mitglied des Hochadels ermordet. Unssteht womöglich ein Verfahren vor dem Star Chamber bevor, wenn nicht gar der Tower.«
Ich zuckte unwillkürlich zusammen.
»Ihr irrt Euch, Bruder Richard«, widersprach die Priorin. »Dieses Verbrechen wurde auf dem Gebiet der Kirche begangen. Es fällt nicht in die Zuständigkeit eines weltlichen Gerichtshofs.«
Bruder Richard schüttelte voll zorniger Gereiztheit die Fäuste. »Hört mir zu, hört ausnahmsweise einmal auf den Superior und Cellerar Eures Klosters. Ich habe Euch mit größter Dringlichkeit geraten, von einer Einladung an Lord Chester Abstand zu nehmen, aber Ihr habt nicht auf mich gehört. Gestern Abend bat ich Euch, ihn wegbringen zu lassen, und wieder wolltet Ihr nicht auf mich hören. Aber jetzt, Ehrwürdige Priorin, geht es um mehr als Euren persönlichen Stolz. Es geht um die Zukunft dieses Klosters, um unser aller
Leben.
Wollt Ihr mich dies eine Mal anhören?«
Ihr Mund bebte vor Erregung, aber sie nickte.
Bruder Richard holte Atem. »Wenn wir versuchen, dies zu einer Kirchenangelegenheit zu machen und die weltliche Macht auszuschließen, wird uns das vernichten. Dieses Verbrechen wird unseren Feinden einen Vorwand liefern zu behaupten, alle Klöster seien Brutstätten von Laster, Verbrechen und Lüge. Wir kochten stets nur unser eigenes geheimes Süppchen. Wir sollten auch dem Star Chamber, das mit königlichen Räten und Richtern besetzt ist, keine Möglichkeit des Angriffs bieten. Dort sitzen die Ketzer, die die Auflösung der Klöster betreiben. Nein, wir müssen das Kloster den Leuten öffnen, deren Beruf es ist, solche Verbrechen zu untersuchen. Wir müssen den Coroner alarmieren, damit er die Leichenschau vornimmt, und uns seinem Urteil darüber beugen, wie der Fall weiter untersucht werden soll.«
»Den Coroner?« Die Priorin war unsicher. »Wo hat so ein Mann seinen Sitz? Ich möchte nicht nach London schicken. Das darf keine Angelegenheit Londons werden.«
»Ihr habt gesagt, dass Dartford in die
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