Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Blut.«
Bruder Richards Gesicht war rot angelaufen. Er hielt mit beiden Händen die Tischkante umklammert. Ich konnte das schnelle Klick-Klick des Bisamapfels der Priorin hören.
Aber Lord Chester war es egal, wen er mit seinen Worten verletzte. »Will ja niemand einen Aufruhr, nicht wahr?« Er lachte in sich hinein. »Auf der London Bridge stehen schon genug aufgespießte Köpfe.«
Während wir alle wie erstarrt waren, stand er schwankend auf. »Ihr werdet alle eine Rente bekommen; niemand wird verhungern«, rief er.
Lady Chester zog ihn am schwarzen Taftärmel. »Lasst es genug sein, Milord.«
Er schüttelte ihre Hand ab und wandte sich in die andere Richtung, um sich an Bruder Richard vorbeizudrängen, der voller Abscheu vor ihm zurückwich. Er merkte es gar nicht, es kümmerte ihn nicht. Schweren Schritts schlurfte er zu dem langen Tisch, auf dem die in Ehren gehaltenen Kostbarkeiten unseres Klosters standen.
»Ah, seht Euch das an!«, rief er mit dröhnender Stimme. »Das Zeug ist ein Vermögen wert. Ihr könnt mir glauben, die Herren des Hofes stehen schon jetzt vor Cromwells Gemächern an, um Kloster Dartford zugesprochen zu bekommen.«
Er klopfte sich mit der Faust auf die Brust. »Aber ich nicht. Ich bin reich genug. Ich habe es nicht nötig, die religiösen Häuser zu plündern. Für einige andere jedoch, ist so etwas« – er wies auf das edelsteinbesetzte Reliquiar – »nur allzu verlockend.«
Er schwankte gefährlich, und einen Augenblick lang glaubte ich, er würde stürzen. Aber er fing sich noch rechtzeitig.
»Ich möchte wissen, was darin ist!«, rief er fordernd.
Ich sah eine der Nonnen von der Bank aufspringen. Es war seine Tochter, Schwester Christina. Ihre Augen blitzten im Kerzenlicht. »Vater, Ihr dürft unser Reliquiar nicht berühren.«
»Nein?« Er wandte sich ihr zornig zu. »Du hast mir gar nichts zu sagen, Tochter. Niemand hat mir etwas zu sagen. Weder du noch die alte Hexe, die vorher hier Priorin war, noch die, die jetzt da oben steht.« Er deutete auf die Priorin Joan. »Ich möchte sehen, was dieses Ding enthält, und ich werde es sehen.«
Die Priorin sprang auf. »Das Reliquiar ist leer, Lord Chester. So haben wir es bekommen – das weiß jeder. Es war der Wille des Königs, der das Kloster gegründet hat, Eduards III.«
»Das weiß jeder«, äffte er die Priorin nach. »Das behauptet
Ihr.
Aber vielleicht glaube ich Euch nicht. Der König jedenfalls glaubt Euch nicht. Er traut den Klöstern nicht. Die Leute behaupten, der König löse die Klöster nur auf, weil er Geld für seine Schatulle brauche, oder aus Rache dafür, dass sie sich seiner Scheidung entgegengestellt haben. Aber ich weiß es besser. Er hat es mir selbst gesagt, mehr als einmal.« Lord Chesters Stimme wurde eine Oktave höher,als er jetzt den König nachahmte: »›Diese Klöster stecken doch alle voller Geheimnisse und hinterhältiger Absichten. Ihre Loyalität gilt nicht mir.‹«
Mit zusammengekniffenen Augen starrte er die Priorin an. »Und ich
weiß
, dass Ihr Geheimnisse habt. Niemand weiß besser als ich um die Geheimnisse von Kloster Dartford.« Er lachte. »Und heute Abend werdet Ihr mir eines dieser Geheimnisse enthüllen.«
Ehe irgendjemand etwas sagen oder tun konnte, packte er mit seinen fettbeschmierten Fingern das Reliquiar und drehte es um, auf der Suche nach dem kleinen Türchen.
Mich schwindelte.
Was, wenn es nicht leer war? Was, wenn in dem Reliquiar ein Teil der Athelstan-Krone verborgen lag? Wer würde durch den Übergriff dieses Mannes verletzt, wenn nicht gar getötet werden?
»Ah, da haben wir es schon.« Er riss das Türchen im Sockel des Reliquiars auf und schob seine Hand in die Öffnung.
Die Nonnen begannen laut zu klagen. Schwester Christina rannte auf ihren Vater zu, als wollte sie ihm eigenhändig Einhalt gebieten, bevor Schwester Agatha und Schwester Rachel sie von beiden Seiten packten und aufhielten. Bruder Richard, der aufgesprungen war, rief der Priorin Joan etwas zu, was über dem lauten Weinen der Nonnen nicht zu verstehen war. Lady Chester kauerte sich in ihrem Sessel zusammen, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Nichts«, rief Lord Chester wütend. »Leer.«
Die Priorin ging um den Tisch herum auf den Mann zu, für den sie dieses Festmahl ausgerichtet hatte. »Lord Chester, ich fordere Euch auf, das Reliquiar auf den Tisch zurückzustellen.«
Lord Chester gehorchte. »Ich war nur neugierig. Keine Sorge, ich will Euer Gold und Eure Juwelen
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