Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
nicht. Dergleichen habe ich nie begehrt.«
Er drehte sich zum Haupttisch um und begann von Neuem zu lachen. »Ich habe immer schon Juwelen anderer Art bevorzugt.«
Er kehrte der Priorin und Bruder Richard den Rücken und torkelte zu meinem Entsetzen auf mich zu.
»Du da«, schrie er mich an. »Novizin. Wie heißt du?«
Ich sprang von meinem Schemel auf.
Er kam näher. »Wie heißt du?«, wiederholte er.
Bruder Edmund stellte sich vor mich.
»Aus dem Weg, Bruder!«, brüllte Lord Chester. »Wisst Ihr nicht, mit wem Ihr es zu tun habt? Ich bin ein Mitglied des königlichen Haushalts, und ich werde jetzt den Namen dieser Novizin erfahren.«
Ich wich zur Wand zurück und schlug mir den Kopf am Fenstersims an.
»Joanna Stafford«, spie ich ihm ins Gesicht.
»Stafford?« Er fuhr zurück, als hätte er ein Gespenst gesehen. »Oh, das ist kein guter Name. Nein, nein, nein. Das ist ein schlimmer Name, ein ganz schlimmer Name. Der König hasst die Staffords; er hasst den ganzen alten Adel. Wie die Familie meiner angebeteten Gemahlin.« Er verneigte sich spöttisch zu Lady Chester hin, die immer noch ihr Gesicht verbarg.
Mit geneigtem Kopf musterte er mich. »Aber das ist es nicht allein. Ihr seid
dunkel.
Die Dunklen mag ich nicht. Die Hellen sind mir lieber – wie die da.«
Mit einem Sprung packte er Schwester Winifred und riss ihr die Novizinnenhaube herunter, sodass ihr aschblondes Haar auf ihre Schultern herabfiel. Sie wehrte sich schreiend in seinen Armen.
Was dann geschah, ging blitzschnell. Eben noch kämpfte Lord Chester mit Schwester Winifred, und im nächsten Moment strampelte er bäuchlings auf dem Fußboden.
Über ihm stand mit erhobener Faust Bruder Edmund.
Kapitel 27
Lord Chester lag der Länge nach auf dem Boden des Kapitelsaals und rieb sich das Kinn.
Bruder Richard rannte hinüber, packte Bruder Edmund beim Arm und riss ihn zurück. »Genug, Bruder, Ihr dürft das nicht tun!«, rief er flehentlich.
Lord Chester richtete sich auf. »Das werdet Ihr mir bezahlen,Bruder.« Schwerfällig kam er auf die Füße. Seine linke Wange war glühend rot, ein wenig Blut sickerte herunter. »Dafür lasse ich Euch auspeitschen. Ich lasse Euch in Tyburn hängen.«
Er wandte sich der Priorin zu, die vor dem Haupttisch stand. Wir alle warteten atemlos, was er als Nächstes tun würde. Es war wie auf einer Bärenhatz, bei der alle angespannt und mit Furcht im Herzen auf den wütenden Angriff des rasenden Tiers warten.
Doch Lord Chester stand plötzlich wie versteinert. Mit offenem Mund starrte er über die linke Schulter der Priorin hinweg auf die Tapisserie an der Wand hinter dem Haupttisch, an dem er stundenlang gesessen hatte. Das Licht der Kerzen lag flackernd auf dem seidenen Bildnis der Daphne, die im tiefen Wald in einen Baum verwandelt wurde.
Langsam begann er den Kopf hin und her zu bewegen, während er das Bild betrachtete. »Wie konntet Ihr das tun?«, fragte er schließlich. »Wie konntet Ihr?«
Er drehte sich nach den Nonnen um, von denen viele aufgesprungen waren, während die anderen noch auf den Bänken kauerten. Seine ganze hohnlachende Wut war verflogen. Er schien unsicher, ja, beinahe verschreckt.
»Wer hat das gemacht?«, fragte er.
An der Tür wurde es laut, Gregory, der Pförtner, erschien mit drei Knechten. John, der Stallbursche, hielt mit furchtsamem Gesicht einen langen Stock in der Hand.
»Ehrwürdige Priorin, was sollen wir tun?«, rief Gregory.
Mit erhobener Hand gebot sie ihm zu warten. »Lord Chester«, sagte sie, »ich muss Euch bitten, das Kloster jetzt aus freien Stücken zu verlassen und mich nicht zu zwingen, meine Leute eingreifen zu lassen. Werdet Ihr mir das zusagen?«
Ich hörte pfeifendes Husten. Schwester Winifred, immer noch mit offenem Haar, drohte einen ihrer Anfälle zu bekommen. Bruder Edmund zog sie ein wenig auf die Seite und lockerte ihren Kragen.
Lord Chester schien die Priorin gar nicht gehört zu haben. Heiser flüsternd sprach er vor sich hin, aber nur ich verstand, was er sagte.
»Wie konntet Ihr das wissen?«, fragte er. »Wie konntet Ihr von ihr wissen?«
Seine Knie gaben plötzlich nach, und er brach ohnmächtig zusammen.
»Ist er tot?«, zischte Bruder Richard. »Geht zu ihm, Bruder Edmund.«
Vorsichtig half Bruder Edmund seiner Schwester auf eine Steinbank, bevor er zu Lord Chester trat und neben ihm niederkniete.
»Tut meinem Gemahl nichts an«, flehte Lady Chester, die sich an den Nonnen vorbeigedrängt hatte, um zu ihm zu gelangen.
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