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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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betrieben neben dem Weingut noch eine Bäckerei – und fielen unter biblische Plage. Gegen Wolfram, Elfi und ihre Brut waren Heuschreckenregen oder der Tod aller Erstgeborenen nichts als Kinkerlitzchen.
    Der Professor goss sich selbst etwas von dem Wein ein, schwenkte ihn im Glas, schlürfte ihn lautstark, ließ ihn wie eine kleine Welle über den Gaumen gleiten, verfolgte seinen Nachhall – und räusperte sich.
    »Von hellem Rot. Frisch, kernig, mit zartem Muskatton sowie Wildkirschenaroma. Ein ganz typischer Trollinger.«
    »Ist das Wein?«, fragte Bill Bulldoss aus den USA.
    »Die Württemberger behaupten es.«
    »Kann man das wirklich trinken?«, kam es von Edward Macallan aus Schottland.
    »Es ist nicht gesundheitsgefährdend. Zumindest nicht mehr als anderer Wein. Bevor noch mehr dumme Nachfragen kommen: Sie haben exakt eine Stunde Zeit, um eine Praline zu entwerfen, die perfekt zu diesem Wein passt. Sie dürfen den Wein auch verarbeiten. Hergestellt werden müssen jeweils hundert Stück. Die Zeit läuft bereits!« Auf einer großen Digitalanzeige lief sie rückwärts.
    Und sie lief schnell.
    Schon allein die Wahl der richtigen Schokolade war kompliziert. Zartbitter, wie klassischerweise zur Begleitung von Rotwein, süßere Vollmilch oder gar weiße Schokolade? Die enthielt zwar am meisten Kakaobutter, aber keine ebenfalls aus Kakaobohnenstücken gewonnene Kakaotrockenmasse, weswegen Puristen sie gar nicht als echte Schokolade ansahen. Der Trollinger war eine harte Nuss. Zwar sah er aus wie Rotwein, schmeckte aber mehr wie ein Weißwein.
    Einige Chocolatiers griffen die Muskatnote auf, erweiterten sie mit Zimt und sogar rosa Pfeffer, andere versuchten eine aromatische Brücke zur Kirschnote zu schaffen, indem sie eine Ganache anrührten – wie die Kuvertürecreme genannt wurde, die aus Schokolade sowie Sahne oder Butter zubereitet wurde – und diese mit Kirschpüree und -likör aromatisierten. Edward Macallan karamellisierte seine Speckstücke in Kirschsirup, Vanessa Hohenhausen aus Deutschland wählte Preiselbeeren, Cranberries und Erdbeeren, um sie in einem weißen Trüffel zu vereinen, aromatisiert mit Rosé-Champagner, um die Säure des Trollingers aufzunehmen.
    Urs Egeli aus der Schweiz nahm sich lange Zeit, den Wein zu verkosten, machte sich unentwegt Notizen und entschied sich dann für eine Wildpflückung reinen Criollos, einer Kakaosorte aus dem bolivianischen Urwald, die, wie Adalbert wusste, gleichermaßen fruchtig, feingliedrig und exotisch schmeckte. Mit dieser umschloss er perfekt gereifte Kirschen.
    Auch die meisten anderen Chocolatiers bevorzugten diese edle Kakaosorte gegenüber dem kräftig-säuerlichen Forastero-Kakao, welcher aus den Urwäldern des Amazonas stammte.
    Adalbert schritt zwischen den Küchenzeilen umher und schaute den zehn Besten auf die Finger. Ottavio Bertinotti machte es sich einfach, gelierte den Trollinger und füllte ihn in Pralinenhohlkörper aus Vollmilchschokolade.
    Pierre Cloizel wahrte sein Geheimnis. Seine Ingredienzen waren in schlichten, unbeschrifteten Dosen abgefüllt. Die verschiedenen Farben der Gefäße gaben ihm sicherlich preis, was sich darin befand, doch niemandem sonst. Was er zusammenrührte, war völlig unklar. Und als Adalbert die Ganache probieren wollte, verbat er sich dies. Nur fertig und in Kombination mit dem Trollinger würde alles Sinn ergeben.
    Adalbert blickte jedoch nicht nur auf Zutaten und Technik, nicht nur darauf, wie geordnet und sauber die Arbeitsplätze waren, sondern sah auch in die Augen der Finalisten.
    Vor allem in die von Gnarr und Cloizel, die scheinbar beide in enger Beziehung zu der toten Chocofee gestanden hatten.
    War dort Trauer wegen des Todes von Beatrice Reekmans zu erkennen, mit der sie … ja, was genau eigentlich verbunden hatte? Nur ein nettes Gespräch, ein Tête-à-tête, Liebe? Hatte die Polizei die beiden schon befragt, oder behielten sie ihre Verbindung zur Toten für sich? Nach der ersten Runde würde er sie zur Rede stellen.
    Cloizel war unglaublich konzentriert bei der Sache, seine Bewegungen wie ein schnell tickendes Uhrwerk, kein Moment des Zweifels, kein Roboter hätte die Befüllung der schokoladigen Pralinenformen schneller, gleichmäßiger und sauberer durchführen können. Gnarr dagegen wirkte sichtlich nervös, immer wieder testete er die Temperatur der Schokolade an der Unterlippe, obwohl ein so geübter Chocolatier die Temperatur schon an der Konsistenz und seinem zeitlichen Gespür erkennen

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