Die letzte Praline
gesehen?«
»Das wird so um Mitternacht gewesen sein. Ich wollte zurück ins Hotel …«
»… mit ihr, klar.«
»Nein.«
»Erzähl mir doch nix, du wolltest sie abschleppen!«
Gnarr sagte nichts. Pit drückte seinen massigen Körper stärker auf den dünnen Isländer.
»Ja, ich geb’s zu, mit ihr. Aber das ist doch kein Verbrechen! Wäre sie mit mir gekommen, dann wäre sie jetzt nicht tot.«
»Ach, also hat sie deinem unwiderstehlichen Scheißercharme widerstehen können.«
Pit hatte genug Cop-Filme gesehen, um zu wissen, wie man sich als Bad Cop verhielt. Dass der Good Cop gerade fehlte, war nicht sein Problem. Pit beherrschte nur den anderen. »Das muss doch einer von euch Pralinentypen gewesen sein. Wer sonst übergießt eine Leiche mit Schokolade?«
»Sie wurde mit Schokolade über … das wusste ich gar nicht!«
»Nein, völlig neu. Klar. Siehst du meine Uhr? Ticktack, Weltmeisterschaft ade.«
»Ich war’s nicht! Ehrlich!« Jón Gnarrs Glatze fing vor Angstschweiß an zu glänzen. »Und jetzt lassen Sie mich endlich los.«
»Und wer war’s dann? Du warst der Letzte, der Beatrice lebend gesehen hat. Oder ist sie mitten in der Nacht noch mit diesem Cloizel losgezogen?«
»Mit Pierre? Nein, nein, der steht auf andere Genüsse. Mit Ottavio war sie noch unterwegs. Der hat sie mir ausgespannt, der Angeber.«
Pit ließ los.
Jetzt auch noch Ottavio Bertinotti, der Italiener.
Es würde weniger Mühe machen, die Chocolatiers zu befragen, mit denen sie nicht herumgemacht hatte.
Also viel Arbeit für den Schokobär.
Adalbert kam gerade rechtzeitig zurück, um zu sehen, wie die zehn Chocolatiers ihren Werken den letzten Feinschliff verpassten.
Pierre Cloizel hatte die Ruhe weg, ließ sich Zeit, blickte niemals zur Konkurrenz. Edward Macallan machte Show, warf seine Speckstücke wahllos über die Pralinen, aus großer Höhe, stieg dafür sogar auf einen Stuhl. Der Pfeffer kam selbstverständlich aus einer fast mannshohen Mühle. Die Fotografen liebten ihn. Dabei wusste doch jeder: je größer die Pfeffermühle, desto schlechter der Koch. Jón Gnarr rauchte Pfeife und blies den Qualm über die Pralinen, nachdem er zuvor schon Trockenkirschen geräuchert hatte.
Urs Egeli aus der Schweiz hatte seine schlichte Praline aus bestem Criollo längst fertig und räumte akribisch seinen Arbeitsplatz auf.
Die junge deutsche Kandidatin war die Hektik in Person, sie wirkte wie ein Kolibri, der jede Millisekunde eine neue Blüte anflog, rasend schnell die Flügel schlagend.
Bill Bulldoss aus Los Angeles schob sich nacheinander einige seiner riesenhaften Pralinen in den Mund und sah dabei immer zufriedener aus – obwohl es wirklich eine Leistung war, die Dinger überhaupt in einem Stück in den Mund zu befördern. Der Professor war ehrlich fasziniert.
Plötzlich erschien Pit neben ihm. Mit der umgebundenen Schürze sah das wuchtige Nordlicht aus wie ein Nashorn im Tütü.
»Professore, ich bin jetzt hier der Schokobär und Teil der Jury – fragen Sie nicht, warum!«
»Sie erklären es mir später«, sagte der Professor erstaunlich gefasst. Es klang mehr wie ein Befehl.
Üblicherweise bestand die Jury der Weltmeisterschaft aus erfahrenen Chocolatiers, auch Madame Baels hatte eine solche Ausbildung gemacht, Beatrice Reekmans sollte mehr oder weniger zur Schau dabei sein. Früher hatte die Jury aus einundzwanzig ausgebildeten Chocolatiers aus aller Herren Länder bestanden, was aber auf Dauer die Finanzen sprengte. Die internationale Chocolatiersvereinigung war schließlich zu dem Entschluss gekommen, ein Prof. Dr. Dr. Bietigheim ersetze in diesem Jahr einundzwanzig Meisterchocolatiers. Bietigheim sah das genauso. Alle anderen in der Jury waren eigentlich nur Verzierung. Und eine Verzierung mehr konnte auch nicht schaden. Im Halbfinale und Finale würden allerdings ausgebildete Patissiers zur Jury stoßen.
Die große Digitaluhr zeigte an, dass es nur noch wenige Sekunden waren.
Sieben … Sechs … Fünf …
Bietigheim nahm sich das Mikrofon und zählte laut mit: »Vier … drei … zwei … eins …«
Madame Baels schlug einen großen chinesischen Gong.
»Alle Hände von den Pralinen! Wer jetzt noch etwas verändert, wird disqualifiziert!«
Jón Gnarr blickte schuldbewusst auf. Die Zeit war ihm ausgesprochen kurz geworden.
Die Chocolatiers mussten ihre Pralinen nun zu einer langen Tafel bringen, welche die Jury abschreiten und dabei probieren würde.
Es wirkte auf Adalbert, als würden die
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