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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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mich auch Fritten. Mit Frittesaus.«
    Bietigheim bestellte grummelnd. Zwei Portionen.
    Die Fritten trieften nicht vor Fett, sie bestanden aus nichts anderem. Eine einzige deckte den Tagesbedarf einer norddeutschen Kleinstadt.
    »Wie heißen Sie denn überhaupt? Und worüber wollen Sie mit mir reden? Und warum so geheimnisvoll? Nun antworten Sie schon! Mein Hund erwartet mich.«
    »Ich hab, na ja, wissen Sie, also nicht gelauscht, aber das war ja nicht zu überhören, eben auf dem Revier, nicht wahr, Sie und Aspe.« Aha! Ein Polizist in Plauderstimmung. Na, dann mal schön weitergeplauert. »Ich kann den Kerl nicht ausstehen«, fuhr der Bursche fort, »mich hat der auch schon mal …, also so richtig, vor allen anderen! Deswegen helf ich Ihnen jetzt. Die Gerichtsmedizin, wissen Sie, wo die ist, also, in der Hoogstraat.« Er stopfte sich die Fritten während des Sprechens in einer atemberaubenden Geschwindigkeit in den Mund. Dann bekam er keine Luft mehr, weshalb er ein Geräusch von sich gab, das wie eine Mischung aus Grunzen, Röhren und Brechen klang, bis sein Gesicht wieder eine normale Farbe angenommen hatte. Er vollzog dies so routiniert, als passiere es ihm ständig. »Der Hausmeister, also, ich weiß das, weil ich da mal gearbeitet habe, also vor Jahren, der hat im Garten der Gerichtsmedizin, weil, der war ja nun mal da, und irgendwas muss man damit ja machen, also da hat er einen Gemüsegarten angelegt und auch so ein Gartenhäuschen, also das hat er da gebaut. Und unter dem Vordach von diesem Häuschen, nicht wahr, also unter einem losen Ziegel, da ist ein Generalschlüssel deponiert, für alle Fälle, darf natürlich keiner wissen, aber damit kommen Sie in die Gerichtsmedizin. Und schmieren Sie Aspe, dem Sack, dann aufs Brot, dass Sie genau wissen, woran das Mädchen gestorben ist. Aber Sie wissen das nicht von mir, hören Sie?« Wieder vollführte er das Grunz-Röhr-Brech-Ritual – um sich direkt danach weitere Unmengen an Fritten reinzudrücken. »Und bloß nicht vor Mitternacht oder so, sonst sieht der sie, der Hausmeister, also auf jeden Fall später. Sie gehen dann hinten rein, in die Kellerräume, und dann weiß ich auch nicht weiter, also da müssen Sie dann schon selbst, nicht wahr, von mir haben Sie das alles nicht! Ist das dahinten Aspe, scheiße, ich muss weg, ich war nie hier. Ich nehm Ihre Fritten mit, nicht wahr, Sie essen ja gar nicht, die sind hier eh nicht so gut.«
    Und weg war er mitsamt Adalberts fetttriefender Fritten. Wenigstens eine Sorge weniger.
    Der Mann, der sich der Frituur näherte, trug zwar ebenfalls einen schlunzigen Trenchcoat, aber es war nicht Aspe. Anscheinend galt ungepflegte Kleidung hier als Dienstuniform. Der Mann grinste ihn an. »Sind Sie nicht der …?«
    »Weihnachtsmann. Aber gerade habe ich Ferien. Wir sehen uns im Dezember.«
    Sie hatten für die Jury eine Art Richterpodium an der Querseite des Saals errichtet, hinter einem massiven Holztisch, so alt und wuchtig, dass er steinern wirkte. Die Medienvertreter durften umherwandern, jedoch nicht mit den Finalisten reden. Es oblag Bietigheim, den Wettbewerb mit einer Schreckschusspistole zu starten. Dann erst durften die Chocolatiers den vor ihnen stehenden Wein enthüllen, zu dem sie nach Verkostung eine Praline kreieren mussten. Adalbert selbst hatte ihn ausgewählt.
    Er blickte auf seine Uhr, die er am Morgen noch aufgezogen hatte. Nur noch wenige Sekunden.
    Fünf … vier … drei … zwei … eins … Schuss!
    Benno bellte, und die Finalisten hoben die Schutzhüllen von den Flaschen.
    Es war Bietigheimer Wurmberg, Trollinger. Eine Art Rotwein. Das Grauen in Flaschenform.
    Wenn das keine Herausforderung war.
    In den Gesichtern der Chocolatiers, die wussten, was es mit dieser Rebsorte auf sich hatte, stand der blanke Schock. Andere, wie Jana Elisa da Costa aus Brasilien und Jón Gnarr aus Island, deren Geschmackspapillen von Trollinger bisher verschont geblieben waren, entkorkten die Flasche und nahmen einen Schluck.
    Aber keinen zweiten.
    Bietigheim lächelte zufrieden. Leicht konnte jeder. Dies war schließlich eine Weltmeisterschaft. Und der Sieger würde stolz auf seinen Titel sein können.
    Trollinger, das war mehr als ein Nationalgetränk, es war die Milch der Schwaben. Und diesen hatte Bietigheims Verwandtschaft gekeltert, die Lüdenscheid-Bietigheims aus Bietigheim, ein Zweig der Sippe, mit dem er lieber nichts zu tun haben wollte, ein Trieb, der den ganzen Baum verschandelte. Aber nun mal Familie. Sie

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