Die letzte Reifung
Gipfel des Käseigels auf. Er musste den Aufstieg über die nicht einsehbare und gefährliche Nordroute gewählt haben. Einer der Studenten war auf die fatale Idee gekommen, kleine Würstchen mit aufzuspießen. Und das dickste Stück befand sich ganz oben, auf dem Zahnstocher mit dem Vacherin d'Epoigey.
Es folgte die zweite Gesangseinlage des Tages. Die ungeplante. Sie kam von Adalbert, der eine Melodie von sich gab, die von einem burmesischen Schamanen stammen musste. Benno von Saber tänzelte ein wenig herum und sprang dann seinem Herrchen in die Arme. Ein Satz von sicher drei Metern.
Stürmischer Applaus, die keineswegs geplante humoristische Einlage gefiel.
»Benno von Saber, meine Herrschaften!«, rief Adalbert. »Vielen lieben Dank, dass Sie heute hierher nach Epoigey gekommen sind, um das Andenken der großen Käserin Madeleine Poincaré zu ehren. Bitte erstehen Sie fleißig Käse und Wein, denn es ist ja für einen guten Zweck. Ich selbst werde nun noch einmal in die Käserei gehen, was mir der neue Eigentümer, die Firma Frombel, freundlicherweise gestattet hat, und schauen, ob ich noch ein paar Käse im perfekten Reifezustand finden kann, um sie gleich hier zu versteigern. Nun darf ich meinen verehrten Freund, den Bürgermeister, zu mir bitten, der sich zuvorkommend wie immer bereit erklärt hat, den Käseigel-Verkauf offiziell zu eröffnen.«
Mit diesen Worten verschwand der Professor ohne ein weiteres Wort in Richtung Käserei.
Schnell schob sich die Menschentraube zum essbaren Weltrekord, und Jan hatte wieder nur Augen für Béatrice.
Nicht aber für den einen VIP, der sich von der Menge entfernte.
Der Professor fühlte sich wie der Rattenfänger von Hameln. Nur führte er die Ratten nicht aus der Stadt, sondern zu sich.
Der Geruch der Käse in Madeleine Poincarés Reifekeller beruhigte ihn, auch wenn nur noch wenige hier lagerten. Frombel hatte die meisten bereits zu Geld gemacht, und die neue Produktion war noch nicht gestartet – man wartete noch auf Laborergebnisse. Benno hielt ihm auch in dieser schweren Stunde die Treue, doch heute würde er ihn sicher nicht vor einem Todesschützen retten. Denn er schlief tief und fest.
Doch es würde schon niemand schießen.
Die Logik gebot es.
Nein, tat sie nicht. Er konnte sich nichts vormachen. Es gab keinen Grund, dass der Mörder bei ihm Halt machte. Dann würde die wissenschaftliche Welt einen ihrer fähigsten Köpfe verlieren. Und sein neuestes Werk über »Trepang, die Seegurke – Kulinarische Muster der asiatischen Küche unter spezieller Berücksichtigung als Heil- und Potenzmittel« bliebe unvollendet. Dabei freute sich Hildegard von Trömmsen bereits so auf die Ergebnisse.
Der Professor nahm einen Schluck des Meursault, den er bereitgestellt hatte. Vielleicht nahm der Mörder ja auch einen.
Dank des Liedes wusste dieser jetzt, dass Bietigheim ihm auf die Schliche gekommen war. Und dank der kleinen Ansprache danach, wo man ihn fand. Der Professor versuchte, sich mit der eingehenden Betrachtung der Käselaibe abzulenken, doch lauschte er die ganze Zeit auf Schritte im alten Haus, auf Knarzen und Quietschen, auf Schatten, die ins Licht traten.
Die Tür hinter ihm öffnete sich leise.
Der Professor hätte es nicht zugegeben, selbst unter Androhung von Schlägen mit der neunschwänzigen Katze, doch sein Herz schlug laut wie eine Kirchenglocke.
Im Zwielicht des Reifekellers konnte er nicht erkennen, wer zu ihm getreten war und ob sich eine Waffe in dessen Hand befand.
»Ah, hier stecken Sie!«, sagte eine Stimme. »Was sollte das eben? Was wollen Sie von mir?«
Der Professor trat zu dem Eindringling. Nur keine Furcht zeigen, keine Schwäche. »Einen wunderschönen guten Tag. Entschuldigen Sie bitte, dass ich eben keine Zeit hatte, Sie persönlich zu begrüßen.«
Nun konnte er erkennen, dass sein Gegenüber keine Waffe in der Hand hielt. Sein Puls schaltete einen Gang zurück.
»Das Käseparadies in Ihrem Lied, damit war doch mein Laden gemeint!« Hervé Picards Nüstern weiteten sich wie die eines Stieres vor dem Angriff. »Das sollte doch bedeuten, dass ich etwas mit dem Mord zu tun habe! Was soll das? Ich wäre von dem Halunken beinahe ebenfalls umgebracht worden – Sie waren doch dabei!«
»Aber wie durch ein Wunder wurde niemand ernsthaft verletzt. Unglaublich, oder? Wie hat der Täter eigentlich von dem geheimen Treffen gewusst, wenn er nicht selbst zum Zirkel gehörte? Oder ihn jemand aus diesem informiert hat?«
»Das weiß
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