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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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sollten wir unter uns sein.«
    »Aber …« Bigots Gesicht knautschte sich zusammen wie ein altes Sofa. »Na ja, es gibt wohl keine andere Möglichkeit. Ich gehe vor, und Sie kommen in einer Minute nach.«
    Der Professor hielt sich nicht daran. Sollten die Leute doch ruhig denken, was sie wollten. Zwei Männer, die sich gemeinsam auf die Toilette verdrückten. Na und?
    Er zumindest würde morgen früh abreisen.
    Natürlich nur, wenn ihn bis dahin niemand umbrachte.
    Ganz auszuschließen war das leider nicht.
    Wer immer die Toilette benutzt hatte, Schleifspuren kündeten von seiner unheilvollen Tat. Es war so eng in der Kabine, dass der Professor und Jules Bigot Nase an Nase stehen mussten.
    »Ich werde es kurz machen«, sagte Jules Bigot.
    »Noch kürzer wäre besser.«
    »Ja, ja. Sie haben recht. Nun, es geht, um …«
    »… den Pfarrer. Ihren Bruder.«
    »Ja, ja genau. So ist es.«
    »Drehen Sie sich bitte etwas nach rechts, dann kann ich mich vor das offene Fensterchen stellen.«
    »Was? Sie unverschäm …« Doch dann tat er es. Lächelnd.
    Herrlich, die frische Landluft, dachte Bietigheim. Jetzt konnte das Ganze ruhig noch ein Weilchen dauern.
    »Was macht Ihr Hund denn da?«, fragte Jules Bigot plötzlich.
    »Er … tanzt. Walzer würde ich meinen.«
    »Und was leckt er?«
    »Die Luft. Ja, ich glaube, er leckt sich etwas Sauerstoff. Sehr gesund. Über was wollten Sie genau mit mir reden? Ist Ihr Bruder bereits festgenommen worden?«
    »Nun, also … meine Güte, hier stinkt es aber gewaltig! Kennen Sie etwas, das so stinken kann?«
    Der Professor kam ins Grübeln. Das war zwar ganz offensichtlich eine rhetorische Frage, doch er beschloss, dies nicht gegen ihn zu verwenden. »In Belgien gibt es einen Käse namens Herve, der nach ausreichender Reifezeit duftet wie Bennos Hinterteil. Doch selbst er erreicht nicht die aromatische Intensität dieser transportablen Toilette. Harzer Roller und Allgäuer Backsteinkäse müssen ebenfalls passen. Aber vielleicht gibt es in England etwas? Die Briten hegen ja eine besondere Beziehung zu allem Morbiden. Lassen Sie mich kurz überlegen.«
    Der Bürgermeister versuchte flach zu atmen. »Hören Sie mir bitte zu! Die Vacherin-d'Epoigey-Rezeptur meines Bruders. Ich habe sie noch nicht zur Polizei gebracht.«
    »Ach?« Genau das hatte sich der Professor gedacht. Es war herrlich, wenn ein Plan funktionierte. »Aber sie ist doch ein Indiz im Mordfall!«, spielte er den Empörten.
    Jetzt atmete der Bürgermeister trotz des Gestanks schwer. »Ich bin am Ende, verstehen Sie? Sie müssen mir helfen. Die Sache betrifft doch nicht nur meinen Bruder, sondern die ganze Familie. Wenn ein Verdacht auf ihn fiele, wäre das nie wieder auszubügeln. Sie müssen mir glauben, dass er es nicht war, da bin ich mir absolut sicher.«
    »Haben Sie schon mit Ihrem Bruder darüber gesprochen?«
    »Nein! Warum auch? Er hat's nicht getan. Punktum. Lassen Sie uns diese Rezeptur einfach vergessen, in Ordnung? Kein Wort zur Polizei, kein Wort zu irgendjemandem.«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Ja. Also: Nein!«
    Jetzt packte der Bürgermeister ihn an den Schultern. Würde er nun mit Gewalt drohen, sie vielleicht sogar anwenden? Dem musste er zuvorkommen.
    »Ich habe mit Freunden bereits über Ihren Bruder gesprochen. Wenn mir etwas passiert, wenden sie sich umgehend an die Polizei.«
    »Was soll Ihnen denn passieren? Denken Sie etwa, ich …?« Jetzt drang Bigot der Schweiß aus allen Poren. »Niemals würde ich, mein Gott, was denken Sie denn von mir?«
    Der Professor schwieg.
    »Ich bin völlig am Arsch, Professor. Mein eigener Bruder! Verstehen Sie? Helfen Sie mir!«
    »Wie soll ich Ihnen denn helfen? Madeleine Poincaré ist tot. Das lässt sich nicht mehr ändern.«
    »Halten Sie meinen Bruder aus der Sache raus, ich flehe Sie an!«
    »Soll ich etwa einen Mörder frei herumlaufen lassen?«
    »Er ist kein Mörder! Ich kenne ihn doch, er wäre zu so etwas nicht fähig.«
    »Einem Trinker ist alles zuzutrauen.«
    »Aber er ist ein Trinker des Herrn!«
    »Ist das eine offizielle Position innerhalb der katholischen Kirche?«
    »Egal, wie viel er trinkt, er wird niemals gewalttätig, sondern weinerlich wie ein kleines Kind. Die Art von Säufer ist er.« Bigots Stimme wurde knarzend, wie die zu stark gespannte Seite eines Kontrabasses. »Glauben Sie mir doch endlich!«
    Es war wohl an der Zeit, ihn von seinen Leiden zu erlösen.
    Der Professor hob den Zeigefinger, als wäre ihm gerade eine Idee gekommen. »Wissen

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