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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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voller seltsamer Lords und Ladys dem Sprung in den Tod vorzuziehen war. Zumindest so gerade eben. Sie zog das Gewand aus violetter Wolle an, das Aryn für sie herausgesucht hatte, befestigte den Lederbeutel mit der halben Silbermünze und ihrer Kette unter dem Kleid an ihrer Taille und setzte sich mit einem Buch ans Feuer. Gegen Sonnenuntergang kam ein Page, dessen Haarschnitt Bände über den Topf verriet, der dazu als Inspiration gedient hatte, und sie nickte wortlos, als er sie bat, ihm zu folgen.
    Vor einer Flügeltür blieben sie schließlich stehen. Leise Geräusche drangen von der anderen Seite herüber. Bloß nicht ohnmächtig werden, Grace. Das wäre doch sehr unherzoginnenmäßig.
    Die Türen schwangen auf und verursachten einen solchen Luftzug, daß Grace in den Großen Saal von Calavere gezogen wurde, bevor sie auch nur daran denken konnte, einen Schritt zu machen. Eine Fanfare auf jeder Seite stieß einen durchdringenden Ton aus, und sie zuckte zusammen, als hätte jemand eine Pistole neben ihrem Ohr abgefeuert.
    »Ihre Durchlaucht, die Herzogin von Beckett!« verkündete eine kraftvolle Stimme.
    Das dumpfe Dröhnen der Unterhaltung, das den Saal erfüllt hatte, senkte sich zu einem Murmeln. Einhundert Augenpaare drehten sich in Graces Richtung. Sie erstarrte wie ein Hirsch im Strahl der Autoscheinwerfer. Was sollte sie tun? Voller Panik suchte sie nach einem bekannten Gesicht – nach irgendeiner Person, egal welcher, bei der sie Wiedersehensfreude vortäuschen konnte, um sich dann in Bewegung setzen zu können und auf diese Art von den forschenden Blicken der Menge zu befreien.
    Es war niemand da. Jedes Gesicht – ob Ritter und Adliger, Diener und Dienerinnen – gehörte einem Fremden. Grace konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich zuletzt so allein gefühlt hatte.
    »Begleitet mich«, raunte ihr eine tiefe Stimme ins Ohr.
    Grace war zu erleichtert, um überrascht zu sein. Eine starke Hand ergriff ihren Ellbogen und steuerte sie auf einen nahen Alkoven zu. Sie blinzelte und fand sich dem ansehnlichen Gesicht König Boreas' gegenüber.
    »Euer Majestät!« Hektisch machte sie einen Knicks.
    Er runzelte die Stirn. »Habe ich Euch nicht befohlen, das seinzulassen?«
    »Ich glaube nicht, Euer Majestät.«
    »Nun, dann habe ich es jetzt. Ich kann nicht ausstehen, wie alle um mich herum sich ständig verbeugen oder einen Knicks machen. Es macht mich seekrank.«
    Grace schoß in die Höhe. Sie hatte tatsächlich vergessen, wie eindrucksvoll der König war. Er war ganz in Schwarz und Silber gekleidet, sein schwarzes Haar und der Bart glitzerten im Fackelschein.
    »Wie Ihr wünscht, Euer Majestät.«
    Das rief ein starrköpfiges Schnauben hervor. »Wenn die Leute bloß auch das tun würden, was ich wünsche. Dann hätte ich diesen verdammten Rat gar nicht erst einzuberufen brauchen. Und, habt Ihr herausgefunden, welche Meinung die anderen Adligen der Domänen vertreten?«
    »Ich bin gerade erst eingetroffen.«
    Der König grunzte, als hielte er das für eine lahme Entschuldigung.
    Grace beeilte sich fortzufahren. »Ihr habt mich gefragt, ob ich herausgefunden habe, welche Meinung die anderen Adligen vertreten. Worum geht es denn bei der ihr zugrundeliegenden Angelegenheit, wenn ich fragen darf?«
    Er ballte seine große Hand zur Faust. »Um den Krieg. Was sonst? Ich muß wissen, welche der Domänen bereit und willens sind, in den Krieg zu ziehen, und welche nicht.«
    »Krieg gegen wen, Euer Majestät?«
    Seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. »Was glaubt Ihr denn, Mylady?« fragte er in einem gefährlichen Tonfall. »Natürlich gegen jene, die die Domänen bedrohen.«
    Instinktiv trat sie einen Schritt zurück. »Natürlich, Euer Majestät.« Dabei mußte sie unwillkürlich an Kyrenes Worte denken. Warum war der König so sehr an Krieg interessiert? Aryn hatte von einem frühen Winter, Seuchen und Gesetzlosen, die die Straßen unsicher machten, gesprochen, und Grace konnte sich nicht erinnern, daß dabei die Rede von einer organisierten Bedrohung gewesen wäre, der man mit einer Armee entgegentreten mußte.
    »Ich überlasse Euch jetzt Eurer Aufgabe«, sagte Boreas. »Ich habe Gäste, um die ich mich kümmern muß, bevor Lord Alerain mich wieder wie eine Mutterhenne ausschimpft.«
    Der König marschierte weiter, und Grace holte erst einmal tief Luft. Einen Augenblick später tauchte Aryn an ihrer Seite auf. Offensichtlich hatte sie aus unmittelbarer Nähe zugesehen. Die Baronesse trug

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