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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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dasselbe Gewand wie an dem Tag, an dem Grace sie kennengelernt hatte – ein saphirblaues Kleid, das zu ihren großen Augen paßte –, und ihr dunkles Haar war geflochten und lag zusammengerollt unter einem mit Edelsteinen besetzten Netz aus feinen Stoffen.
    »Ist das nicht aufregend, Grace?«
    Grace runzelte die Stirn. »Das ist auch ein Wort dafür – obwohl ich es vermutlich nicht gewählt hätte.«
    Die Baronesse seufzte. »Ich wünschte, ich könnte so sein wie du, Grace.«
    »Warum solltest du dir so etwas wünschen?«
    »Du bist so edel, so majestätisch. Selbst an jenem ersten Tag, in dieser Dienerkleidung, hielten Alerain und Kyrene und König Boreas dich für jemanden von königlichem Blut. Und jetzt …« Sie schüttelte den Kopf und stoppte Graces Protest. »Ja, ich weiß, was du mir vorhin erzählt hast. Ich weiß, daß du auf … deiner Welt, auf der Erde, Ärztin bist, aber das ändert nichts an deinem Aussehen, der Art und Weise, wie du eben den Saal betreten und dabei jedermanns Aufmerksamkeit auf dich gezogen hast.«
    Die Worte verschlugen Grace die Sprache.
    Aryn flüsterte erstaunt: »Du weißt es wirklich nicht, nicht wahr?«
    Sie nahm Grace bei der Hand und führte sie hinter eine Ecke. An der Wand hing ein Spiegel aus poliertem Silber, damit die Höflinge im Verlauf des Bankettes ihre Aufmachung überprüfen und nötigenfalls in Ordnung bringen konnten. Grace erkannte die Frau im Spiegel nicht. Sie war hochgewachsen, trug ein mit einer Schleppe versehenes Gewand in der Farbe von Winterveilchen, hatte einen schlanken Hals und hohe Wangenknochen. Ihr Haar war kurz, aber elegant, nach hinten gestrichen enthüllte es zierliche Ohren; ihre Augen leuchteten wie Blätter im Sonnenlicht. Sie sieht aus wie eine Königin. Und erst jetzt begriff Grace überrascht, daß das Bild da vor ihr sie selbst war.
    Hatte sie deshalb jeder angestarrt? Nicht aus Spott, sondern …? Es war zu absurd. Sie war eine überarbeitete Assistenzärztin aus einer unterfinanzierten Stadtklinik. Das war alles. Grace wandte sich von dem Spiegel ab. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Aber in diesem Augenblick erhob sich eine Stimme über den gedämpften Unterhaltungslärm.
    »Aryn von Elsandry!«
    Die Baronesse zuckte zusammen.
    Grace schenkte ihr ein ironisches Lächeln. »Hört sich an, als wollte der König etwas von dir.«
    »Wie kommst du bloß darauf?« Aryn setzte sich in Bewegung, dann zögerte sie.
    »Oh. Ich komme schon zurecht«, sagte Grace. »Wirklich.« Sie gab sich Mühe, es so klingen zu lassen, als wäre es auch ihr Ernst.
    Aryn winkte ihr zu. »Ich komme zurück, sobald ich kann.«
    Zum ersten Mal seit Betreten des Großen Saales war Grace sowohl allein als auch den aufdringlichen neugierigen Blicken entzogen. Sie nutzte die Gelegenheit, um einen Eindruck zu gewinnen.
    Der Große Saal von Calavere war mit der Absicht dekoriert worden, einen Winterwald darzustellen. Von den rußgeschwärzten Deckenbalken hoch oben baumelten Sträuße aus Immergrün und Stechpalme herab; man hatte noch mehr davon am Fuß der Wände aufgehäuft. Ihr eisiger Duft vermengte sich mit dem Rauch der Fackeln. In den Saalecken standen blätterlose Schößlinge, die die Ränder einer Waldlichtung symbolisieren sollten; selbst die Wandteppiche, deren Farben die Zeit hatte verblassen lassen, gaben mit ihren Szenen von Hirschjagd und Waldfesten der Illusion zusätzliche Überzeugungskraft.
    Nur ein Objekt stand in direktem Gegensatz zu der Waldillusion und schien nicht hierherzugehören. Es stand ganz in der Nähe des Eingangs an einer Wand, ein gewaltiges Ding aus dunklem Felsgestein. Grace ging näher heran. Es handelte sich um einen massiven Ring, dessen Durchmesser ihrer Größe entsprach. Er hing waagerecht an zwei stämmigen Holzpfosten befestigt, die von einem wuchtigen Gestell aufragten. Als Grace ihn sich näher betrachtete, war sie sich nicht länger sicher, ob das Artefakt aus Stein oder Metall gefertigt war. Sie hatte nicht die geringste Vorstellung, welchem Zweck es diente, also ging sie weiter.
    Der Boden des Großen Saales war mit frischen Binsen bestreut, und ein Dutzend langer, auf Holzböcken ruhender Tische standen im rechten Winkel zur Tafel des Königs, die am anderen Saalende auf einem Podium aufgebaut war. Eine Gruppe Diener eilte immer noch geschäftig umher. Das Bankett hatte noch nicht offiziell begonnen, und die versammelten Adligen spazierten im Saal umher, Pokale mit gewürztem Wein in Händen, und

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