Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
nackt. Der eine Arm hing zum Boden herab, der andere lag auf seiner Brust. Es hatte fast den Anschein, als würde er schlafen. Aber der blutrote Strom, der aus seiner Seite über die Bank und auf den verzierten Boden floß, zerstörte die Illusion.
Melia keuchte auf, und Falken stützte sie, während sie näher herangingen.
Aryn kniete an der Seite des Ritters. Als sie sie hörte, schaute sie auf; ihr Gesicht war nicht allein von dem Wasserdampf feucht. »Ich habe es versucht, Grace. Ich habe es so sehr versucht. Aber ich kann es nicht. Ich kann seinen Lebensfaden nicht mit der Weltenkraft verbinden. Nicht wie …«
Die Baronesse preßte die Lippen zusammen, aber Grace wußte, was die junge Frau hatte sagen wollen.
Nicht wie du es könntest, Grace.
Aryn lehnte sich an die Bank, beugte den Kopf über Beltan und schluchzte, ohne die Tränen verbergen zu wollen. Lirith warf Durge einen Blick zu, aber der Ritter starrte nur geradeaus. Die Hexe schüttelte den Kopf, dann ging sie zu Aryn hinüber, half der Baronesse auf die Füße und führte sie ein Stück abseits.
Grace wußte, daß Travis sie ansah, aber sie ignorierte ihn. Er wußte nicht – er konnte nicht wissen, was er da von ihr verlangte. Oder etwa doch? In diesem flüchtigen Augenblick, in dem sie mit Hilfe der Weltenkraft mit ihm hatte sprechen können, in dem sie ihm mitgeteilt hatte, was sie über Dakarreth herausgefunden hatte, war sein Ich bei ihr gewesen – genau wie der Schatten.
»Bitte, Grace«, sagte er nur. »Heile ihn.«
Aber ich kann nicht! wollte sie ihm entgegenschleudern. Verstehst du denn nicht? Ich habe Garf getötet, und ich werde auch Beltan töten. Verdammt, ich kann es nicht tun!
Statt dessen erwiderte sie seinen Blick und nickte. »Ich versuche es.«
Grace spürte die Blicke aller auf sich ruhen, als sie zur Bank ging, aber sie ließ sie in dem Dampf hinter sich zurück. Jetzt gab es nur noch sie und Beltan.
Schnell machte sie eine Bestandsaufnahme seines Zustandes. Er atmete, seine Atemwege waren frei. Aber der Puls schlug schnell und schwach. Tachykardie. Die alte Wunde in seiner Seite war wieder aufgerissen worden: ein fünfundzwanzig Zentimeter langer Riß, der das Bauchfell durchstoßen hatte. Sie konnte die Wunde schließen, aber er hatte einen Schock erlitten, und der Blutverlust war beträchtlich. Möglicherweise waren seine Organe schon dabei zu versagen. Sie mußte ihn an ein Beatmungsgerät schaffen, ihn stabilisieren damit sie ihn operieren konnte und dann …
Und dann was? Sie war hier nicht im Denver Memorial Hospital, und die nächste Intensivstation war genau eine Welt weit weg. Hier gab es keine Beatmungsgeräte und keine Lebenserhaltungssysteme.
Aber das stimmte so nicht, und das wußte sie auch.
Verbinde ihn mit deinem eigenen Lebensfaden, Grace. Mehr brauchst du nicht zu tun – das wird dir die nötige Zeit verschaffen, die du brauchst, um ihn an einen Ort zu schaffen, wo du den Schaden beheben kannst.
Aber sie konnte es nicht, und das wußte sie ebenfalls genau. Um sich mit der Weltenkraft zu verbinden, mußte sie durch den Schatten gehen. Und wenn sie das tat, würde sie sich ihm ausliefern.
»Ich kann nicht«, flüsterte sie.
Travis trat an ihre Seite. »Ich weiß, Grace.« Seine Stimme war leise, diese Worte waren nur für sie allein bestimmt. »Ich habe es gesehen, als du mit mir gesprochen hast. Ich habe den Schatten des Waisenhauses gesehen. Und es tut mir so leid. Es tut mir so leid, was sie dir dort angetan haben. Aber, Grace, verstehst du nicht? Wenn du das nicht tust, bedeutet das, daß sie gewonnen haben.«
Ihr Herz verwandelte sich in Staub. »Ich glaube, das haben sie schon vor langer Zeit, Travis.«
Er nahm ihre Hände. »Nein, das will ich nicht glauben, Grace. Nicht, wo ich weiß, wieviel Leben in dir steckt – nicht, wo ich es selbst gesehen habe. Du kannst sie immer noch schlagen.«
Grace wollte schreien oder schluchzen oder sich in seine Umarmung fallen lassen. Aber sie war nur dazu in der Lage, sich steifbeinig auf den harten Boden zu knien und ihn anzustarren.
Travis hohe tief Luft. »Melia hat mir gesagt, daß man seine Macht nicht für alle Zeiten verbergen kann«, sagte er dann in einem Tonfall, der mitfühlend und unerbittlich zugleich war. »Sie hatte recht. Und das ist deine Macht, Grace – die Sache, vor der du dich nicht verstecken kannst. Sie ist wie der Stein. Um an ihm vorbeizukommen, mußte man zulassen, daß er einen verbrennt.«
Diese Worte gaben ihr
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