Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
Nekromant trat nahe an Travis heran und studierte ihn lauernd. »Du bist das, nicht wahr? Der, von dem Eriaun sprach – der Mann, der die Großen Steine berühren kann und der mit Mindroth sprach, bevor dieser endgültig verbrannte.«
Schweißperlen sammelten sich auf Travis’ Stirn.
»Ja, du bist es«, flüsterte Dakarreth. »Du besitzt den Schlüssel zu Krondisar. Mindroth floh, bevor ich ihn ihm entringen konnte, aber du wirst ihn mir jetzt geben – du wagst es nicht, dich mir zu widersetzen.«
Travis biß die Zähne so stark zusammen, daß an seinem Hals die Muskeln hervortraten, aber er gab keinen Ton von sich.
»Wo hast du ihn versteckt, Dakarreth?« fragte Melia in leisem, aber wütendem Tonfall. »Wo ist der Stein des Feuers?«
»Was denn, das weißt du nicht? Dabei war er die ganze Zeit genau über dir, liebste Melia.«
Dakarreth breitete die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken. Grace folgte seinem Blick zu dem pulsierenden blutroten Fleck am Südhimmel. Der rote Stern blitzte auf, dann fing er an zu wachsen, bis sein ungezähmtes Licht ein Viertel des Himmels ausfüllte. Alle hatten die Gesichter nach oben gerichtet, und nun wurden sie scharlachrot angestrahlt, als der Stern an Größe gewann.
Nein. Grace, du irrst dich. Er wird nicht größer. Er kommt näher.
Er schoß wie ein Meteor heran, so hell, daß sie wußte, daß er sie alle verbrennen würde. Im letzten Augenblick wurde er langsamer, und die Flammenspeere schrumpften zu einer kleinen, leuchtenden Sphäre. Der rote Stern schwebte in die Tiefe und kam auf Dakarreths ausgestreckter Hand zur Ruhe. Aber es war gar kein Stern. Es war ein Stein. Der Stein.
Krondisar.
Melia stieß ein Keuchen voller wortloser Qual aus und sackte auf die Knie. Die anderen starrten den Stein des Feuers an, der auf Dakarreths Handfläche ruhte und mit seinem blutigen Licht dieses wunderschöne und zugleich so schreckliche Gesicht beleuchtete.
Aus dem Augenwinkel sah Grace, wie die Morgendämmerung den Horizont erhellte. Aber es war noch viel zu früh für die Sonne, und es handelte sich auch gar nicht um die Dämmerung. Der helle Schein kam jetzt aus allen Richtungen; er war rot und flackerte. Das Land brannte. Dann sah sie sie: dunkle, schlanke Gestalten, die sich von den in die Höhe steigenden Flammen abzeichneten. Hunderte von ihnen. Tausende. Das Licht umfing das Schloß. Die ganze Welt stand in Flammen.
Dakarreth brachte sein Gesicht nahe an Travis’ heran, spitze Zähne entblößten sich zu einem furchteinflößenden Lächeln. »Jetzt gib mir den Schlüssel, Runenmeister, oder sieh zu, wie alle deine Freunde sterben.«
39
Die Luft um Travis herum knisterte. Er war sich seiner Gefährten bewußt, die bewegungslos hinter ihm standen, so wie er sich der Feuerwand bewußt war, die das Schloß eingekreist hatte. Irgendwo schrien Menschen. Aber das alles registrierte er nur flüchtig. Sein Blick konzentrierte sich auf den Stein mit seiner wilden Schönheit. Er konnte an nichts anderes denken als daran, wie gut es sich anfühlen würde, den Stein zu nehmen, ihn in der Hand zu halten und seine Wärme auf der Haut zu spüren. Reflexartig griff er danach.
Dakarreth riß Krondisar zurück und schloß die Finger darum. Rotes Licht quoll zwischen ihnen wie Blut hervor. »Denk nicht mal dran, den Stein des Feuers an dich zu nehmen, Runenmeister. Keiner von euch hat die Macht, ihn mir wegzunehmen – weder Falken noch Melia, und erst recht nicht du. So viel von seiner Macht gehört jetzt mir, viel mehr, als sich einer von euch auch nur vorstellen kann. Ich brauche nur noch Mindroths Schlüssel, um seine letzten Geheimnisse zu entschlüsseln. Und jetzt gib ihn mir!«
Travis versuchte, die Lippen zu befeuchten, aber es war, als wäre er mit Schmirgelpapier darübergefahren. Das Sprechen fiel ihm so schwer. »Ich habe … den Schlüssel nicht.«
»Du lügst!« Unmenschliche Wut verlieh den perfekten Zügen von Dakarreths Gesicht eine nie dagewesene Schärfe. »Mindroth hat dir den Schlüssel gegeben. Warum auch nicht? Schließlich bist du von derselben Art, Runenmeister. Für deine Lüge wirst du mir jetzt dabei zusehen, wie ich einen deiner so kostbaren Freunde vernichte. Soll ich mit der verschlagenen Hexe beginnen? Oder mit dem wackeren Ritter?«
Der Nekromant richtete den Blick auf Durge. Der Embarraner stellte sich auf die Zehenspitzen, während seine Augen aus den Höhlen zu quellen drohten.
Travis hielt eine Hand hoch. »Nein, nicht!
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