Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
sich zu streiten, was das angeht. Ist Euch auf dem Weg hierher die große blaue Kuppel aufgefallen? Das ist die Kuppel der Etherion.«
»Ich verlasse den Tempel nur noch selten«, sagte Orsith, »aber vor drei Tagen bin ich zur Etherion gegangen, zur letzten Versammlung. Doch man hat nichts erreicht, wenn man davon absieht, dass Gerüchte und Andeutungen in die Welt gesetzt wurden. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass jeder Priester lautstark die Meinung vertrat, es würde sich hier um eine von einem rivalisierenden Gott ausgeheckte Verschwörung handeln, um dem eigenen Gott Anhänger oder Prestige zu stehlen.«
Durge schnaubte. »Wenn man Euch so zuhört, könnte man glauben, dass Eure Götter und Priester wie ein Haufen Kinder sind, die sich auf dem Schlosshof balgen.«
»Da liegt Ihr nicht viel daneben«, murmelte Falken.
»Warum schließen sich die Götter nicht zusammen, statt einander mit Dreck zu bewerfen?«, fuhr Durge fort. »Zusammen müssten sie doch sicherlich den Verantwortlichen für dieses Verbrechen finden können.«
»Eine berechtigte Frage, guter Soldat«, meinte Orsith, »aber ich bezweifle, dass Euch die Antwort gefallen wird. Ihr müsst wissen, dass ich trotz all der Wut und der Anschuldigungen in der Etherion deutlich eine tiefere, stärkere Strömung ausmachen konnte, die alle Anwesenden gemeinsam hatten. Es war Angst.«
Lirith nickte. »Natürlich. Wenn derjenige, der für diese Tat verantwortlich ist, die Macht hat, einen Gott zu töten, was sollte ihn davon abhalten, wieder zu töten?«
Jetzt verstand Aryn. »Die anderen Götter müssen Angst haben, dass, sollten sie versuchen, den Mörder zu finden, sie das nächste Opfer sein könnten. Und wenn die Götter Angst haben, müssen die Priester starr vor Entsetzen sein.«
Orsith nickte. »In Euren Worten liegt viel Wahrheit, meine Liebe, obwohl es nicht ganz so einfach ist. Die Geschichte der Bündnisse und Rivalitäten der Götter von Tarras ist wie ein gewaltiger und turbulenter Ozean, und Sterbliche können nur über die Oberfläche gleiten und hoffen, nicht in die Tiefe gezogen zu werden.«
Melia kaute auf der Unterlippe herum. »Selbst für uns Nichtsterbliche ist es nicht immer viel klarer. Ich hatte gehofft, dass die Etherion zusammenarbeitet, um Ondos Mörder zu finden, aber ich muss gestehen, ich habe befürchtet, dass es nicht dazu kommt.«
»War jemand wütend auf Ondo?«, wollte Falken wissen.
»Oh, viele Götter waren wütend auf Ondo«, sagte Orsith. »Er war nicht der Mächtigste, aber er war der Patron der Goldschmiedegilde. Das bedeutet, dass sämtliche Goldarbeiten bei der Herstellung von Schmuck oder Ornamentarbeiten unter seiner Kontrolle standen. Und viele Götter bevorzugen Gold für die Verschönerung ihrer Priester und Tempel.«
Falken kratzte sich mit der behandschuhten Hand am Kinn, aber es blieb unklar, ob er diese Information für wichtig hielt oder nicht.
»Nun«, sagte Melia energisch, »wenn man die Etherion nicht zum Handeln zwingen kann, dann werde ich mich in dieser Sache einfach an eine andere Macht wenden müssen. Ich werde um eine Audienz bei Kaiser Ephesian bitten.«
Orsith schüttelte den Kopf. »Man wird sie Euch verweigern, meine Liebe. Ja, selbst jemandem wie Euch. Der Kaiser hat aus Trauer um Ondo die Palasttore schließen lassen.«
»Wohl eher aus dem verzweifelten Wunsch, sich zu verbergen«, meinte Falken. »Ich bin sicher, dass sich der Kaiser in genau diesem Augenblick zitternd in seinem Bett verkrochen hat und sich fragt, ob er wohl der Nächste ist. Die Ephesianer sind schon immer Feiglinge gewesen.«
Orsith nickte. »Ja, das scheint ein Zug zu sein, den alle neunzehn teilten.«
»Neunzehn?«, wiederholte Durge. »Ihr meint, dass es so viele von ihnen gegeben hat?«
»In der Tat«, antwortete Orsith. »Der derzeitige Ephesian ist der Neunzehnte mit diesem Namen, der das Zepter hält. Es ist eine lange Dynastie gewesen.«
»Aber warum wurde diese Dynastie nicht gestürzt? Warum sich mit neunzehn schwachen und feigen Kaisern abfinden?«
»Weil das besser ist, als neunzehn mächtige und grausame zu haben«, sagte Orsith.
Und wieder war Durge sprachlos.
»Und jetzt?«, fragte Falken und sah Melia an.
Sie schwebte mit verschränkten Armen in der Luft. »Ich weiß es nicht. Wir werden uns eine Unterkunft suchen müssen. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«
Und sie schwebte sanft nach unten. Durge wieder auf die Füße zu bekommen war allerdings eine weniger anmutige Aufgabe;
Weitere Kostenlose Bücher