Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
Augen, erinnerte sich. Tauben waren immer ihre Lieblinge gewesen. Er hatte immer gelacht, wenn sie am Morgen für sie Getreide auf den Boden warf. Aber beim Einbruch der Nacht öffnete sie dann die Fenster des Herrenhauses und ließ ihre Musik die Räume füllen. Damals hatte er es nie verstanden; für ihn waren es die einsamsten Laute gewesen, die er je gehört hatte. Warum hatte er so viele Jahre dafür gebraucht, nur um zu erkennen, wie schön ihr Lied doch war?
»Soll ich dich heute Abend erwarten, Mylord?«
Durge öffnete die Augen. »Du solltest mich nie erwarten.«
Er stand auf, nahm seine Hosen vom Stuhl und zog sie an. Hinter ihm seufzte Lesa und drehte sich im Bett um.
Er war ihr nicht lange nach ihrer Ankunft auf Ar-Tolor begegnet. Lesa war eine Frau aus dem Dorf, die manchmal für eine der königlichen Hofdamen als Magd arbeitete. Ihr Mann war vor einem Jahr gestorben, aber die schwierige Geburt ihres zweiten Kindes hatte sie unfruchtbar gemacht, weshalb sie keiner der Männer aus dem Dorf zur Frau haben wollte. Sie war unscheinbar und beschränkt, hatte aber ein gutes Herz, und die paar Male, die er sie mit ihren Kindern gesehen hatte, war sie freundlich mit ihnen umgegangen. Das hatte Durge gefallen. Außerdem brauchte sie Geld für Brot, und er brauchte eine Geliebte. Es funktionierte ganz gut.
Durge schloss die Hosen und richtete sich auf. Dabei fiel sein Blick auf sein Abbild in den undeutlichen Tiefen eines Bronzespiegels. Der Spiegel war klein, sodass er nicht über seine Schultern hinaussehen konnte, und einen Augenblick lang war es, als würde er einen Geist sehen.
Ohne Gesicht sah er nicht viel anders aus, als er sich aus jüngeren Tagen im Gedächtnis hatte. Seine Arme waren noch immer hart, das dichte Haar auf seiner Brust noch immer dunkel, und sein Bauch hatte sich nicht in Pudding verwandelt, wie es bei so vielen Männern seines Alters der Fall war. Es waren seine Hände, die ihn verrieten. Sie waren rau, mit großen Knöcheln, voller tiefer Falten und Narben. Die Hände eines alten Mannes.
Er zog sich das graue Wams über den Kopf, legte den Gürtel an und drehte sich um. Lesa hatte sich im Bett aufgesetzt, ihr verfilztes braunes Haar fiel bis zu ihren Schultern, und sie betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Ein hartes Leben hatte ihr Gesicht faltig werden lassen und ihm einen abgekämpften Ausdruck verliehen, aber ihre Brüste waren klein und wohlgeformt.
Sie umklammerte unter der Decke ihre Knie. »Wann wirst du mich zu deiner Lady machen, Mylord?«
»Ich werde dich niemals zu meiner Lady machen«, sagte er und zog die Stiefel an.
Sie lachte und klopfte neben sich aufs Bett. »Hier bin ich deine Lady. Du siehst so ernst aus. Aber wenn du dich an mich drückst, bist du mutig genug. Reicht dir das nicht?«
Durge legte drei Silbermünzen auf einen kleinen Tisch. »Kauf für deine Kinder ein paar Schuhe. Ich habe sie auf der Dorfwiese barfuß gesehen.« Er ging zur Tür.
»Das werde ich, Mylord«, sagte sie. »Schuhe kaufen, meint’ ich. Jorus segne dich.«
Durge sagte nichts, als er durch die Tür trat und sie hinter sich schloss. Im Schloss herrschte Stille, die meisten Bewohner von Ar-Tolor lagen noch im Bett. Er ging durch die Korridore zu seinem Gemach, aber er beeilte sich nicht. Das war einer der seltenen Augenblicke, die er für sich selbst hatte, und es war richtig, ihn zu genießen. Während der letzten beiden Jahrzehnte hatte sich Durge daran gewöhnt, allein zu sein, und er empfand es nicht als Last. Es gab so vieles, das man nur in der Stille der Einsamkeit hören, fühlen und sehen konnte.
Nicht, dass er die Zeit bedauerte, die er mit Aryn und Lirith verbracht hatte. Ein Ritter musste eine Aufgabe haben, das kam vor allem anderen. Andererseits war aber genau das ein Teil seines derzeitigen Problems, nicht wahr?
Ein Ritter braucht jemanden, dem er dienen kann, aber welche deiner Dienste brauchen sie hier, Durge von Steinspalter?
Er wusste genau, dass für ihn die Zeit zur Abreise gekommen war, die Rückkehr nach Embarr. Nach ihrer Rückkehr ins Schloss gestern Abend waren Aryn und Lirith losgestürmt, ohne einen Blick für ihn übrig zu haben. Aber welchen Nutzen hatte ein schwermütiger Ritter, wenn strahlende Königinnen nach einem riefen?
Sich selbst überlassen hätte Durge vielleicht an seinen alchemistischen Studien gearbeitet, aber er hatte hier nicht die richtigen Zutaten und Gerätschaften besorgen können. Soweit er es beurteilen konnte,
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