Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
verschlingen würde. Leute wie die mit den Plakaten am Piccadilly Circus. Bis jetzt nahm niemand diese Menschen ernst.
Beltan stopfte den Abfall in einem Abfalleimer, schloss das Taxi ab und ging auf das schmale graue Steingebäude zu, in dem sie im dritten Stock lebten. Es war ein guter Ort, denn in der Gasse neben dem Haus waren ein kleines, freundliches Pub und mehrere Restaurants, und an der Straße davor gab es alle möglichen Märkte. Dank der hohen Gebäude, die sich ringsum wie Türme erhoben, kam sich Beltan immer vor, als würde er in einem kleinen Turm am Rand eines belebten Schlosshofes leben.
Mit anderen Worten, es fühlte sich wie zu Hause an.
Er sprang die von der Zeit abgenutzten Stufen hinauf und schob den Schlüssel ins Schloss. Da verspürte er ein Kribbeln im Nacken, und er drehte sich um. Am Rand seines Gesichtsfeldes huschte ein Schatten in die Gasse; seine Form verschmolz mit der dunkler werdenden Luft. Von alten Instinkten angetrieben, sprang Beltan über den Zaun und spähte in die Gasse. Vor dem Pub saßen vier Leute an einem Tisch, vor einem der Restaurants stellte ein Kellner Stühle auf. Von dem Schatten war keine Spur zu sehen.
Trotzdem wusste Beltan, dass ihm seine Sinne keinen Streich gespielt hatten. Etwas war da gewesen. Oder vielmehr mehrere, denn es war mehr als ein Schatten erschienen. Aber wo waren sie jetzt? Er hatte ein Kribbeln verspürt, das Gefahr bedeutete. Vielleicht waren es Kriminelle gewesen, die etwas Böses wollten. Vielleicht ließ ihn das Elfenblut solche Dinge spüren.
Aber was auch immer es gewesen war, der Schatten war verschwunden, und ihm knurrte der Magen. Er ging zurück zur Haustür, ließ sich ein und polterte die beiden Treppen zu ihrer Wohnung hoch.
»Ich bin zu Hause«, rief er und warf die Tür hinter sich zu.
Keine Antwort. Er ließ den Ledermantel vom Körper gleiten und betrat vom Korridor aus die Küche. In einem Topf auf dem Herd kochte etwas. Beltans Magen knurrte erneut. Es roch gut.
Er ging von der Küche ins Wohnzimmer. Hier war alles dunkel, also schaltete er das Licht ein – selbst nach drei Jahren fand es Beltan noch immer erstaunlich, so ein helles Licht herbeizurufen, indem er bloß einen Schalter umlegte –, dann ging er zurück in den Korridor. Das Schlafzimmer war dunkel und leer, genau wie das Bad (eine ganze Kammer voller Wunder), aber aus der Tür des zusätzlichen Raumes am Ende des Korridors drang Licht hervor. Beltan verschränkte die Arme und lehnte sich an den Türrahmen.
»Also hier versteckst du dich.«
Travis schaute auf, legte etwas auf dem Schreibtisch am Fenster ab und lächelte. Beltan grinste zurück. Ein Gefühl der Liebe stieg in ihm auf, noch genauso mächtig wie an jenem Tag in den Ruinen von Kelcior, als er Travis das erste Mal begegnet war.
»Was lachst du?«, fragte Travis.
Beltan durchquerte den Raum, umarmte ihn fest und küsste ihn.
»Oh«, sagte Travis und lachte. Er erwiderte die Umarmung, aber nur einen kurzen Augenblick lang, bevor sich sein Blick wieder dem dunklen Fenster zuwandte.
Beltan ließ ihn gehen und sah ihm zu. Travis' graue Augen blickten nachdenklich. Er sah älter aus als bei ihrer ersten Begegnung; sein rotbraunes Haar und der Bart wiesen mehr als nur etwas Grau auf. Aber die Jahre hatten seinem Gesicht eher gut getan, und seine Züge waren ausgeprägter, aber auch attraktiver als je zuvor. Beltans Gesicht war im Laufe der Jahre durch mehr als eine Schlägerei böse verunstaltet worden. Wie Travis jemanden lieben konnte, der so reizlos wie er war, würde er nie verstehen, aber Travis liebte ihn, und diese letzten drei Jahre waren Jahre des Friedens und der stillen Freuden gewesen.
Aber es waren auch Jahre des Wartens gewesen. Der Fahle König war tot, und Mohg existierte nicht mehr, aber die Erde und Eldh kamen einander noch immer näher. Was das bedeutete oder wie bald die beiden Welten aufeinander treffen würden (falls sie überhaupt aufeinander treffen würden), vermochte Beltan nicht zu sagen. Aber irgendwie – vielleicht lag es an dem Elfenblut – wusste er, dass Travis' Rolle in all dem noch nicht vorbei war. Und seine auch nicht. Manchmal, in der Dunkelheit der Nacht, ertappte er sich bei der Hoffnung, dass er Recht hatte – hoffte, dass das Warten eines Tages vorbei sein und sein Schwert wieder gebraucht werden würde.
Du bist ein Krieger. Du bist nicht für den Frieden gemacht.
Er verwarf den Gedanken mit einem leisen Schnauben. Hier ging es nicht um ihn
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