Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
und seinen Kriegerstolz. Etwas beunruhigte Travis; Beltan brauchte keine magischen Spürsinne, um das zu wissen.
»Was ist?«, fragte er und legte Travis die Hand auf die Schulter. Dann schaute er auf den Schreibtisch und sah das Stück zerknitterten Papiers dort liegen.
Beltan seufzte. »Ich vermisse sie auch. Aber wo auch immer sie ist, ihr geht es gut. Sie weiß, wie man auf sich aufpassen muss.«
Travis nickte. »Aber sie ist nicht allein, oder?« Er küsste Beltans raue Wange. »Ich brauche noch ein paar Minuten, um das Essen anbrennen zu lassen. Wenn du duschen willst?« Und er ging.
Beltan zögerte, dann hob er das Stück Pergament auf. Es war so weich wie Haut. Wie oft hatte Travis den Brief gelesen?
Vermutlich genauso oft wie du.
Nur eine Wolke hatte ihr Glück in diesen letzten drei Jahren getrübt, und das war der Gedanke an all jene, die sie zurückgelassen hatten. Grace, Melia und Falken, Aryn und Lirith und so viele andere. Aber von ihnen allen war keiner so oft in ihren Gedanken wie sie.
»Vani, wo bist du?«, flüsterte er.
Diese Frage hatte er sich tausend Mal gestellt seit dem Tag, an dem sie den Brief in ihrem verlassenen Gemach auf Burg Todesfaust gefunden hatten. Es war Anfang Frühling gewesen, nur einen Monat, nachdem Königin Grace den Fahlen König vernichtet und Travis die Letzte Rune gebrochen hatte. Eine Karawane der Mournisch war vor der Festung eingetroffen und hatte die frohe Botschaft gebracht, dass Lirith eine der ihren war, dass sie und Sareth heiraten konnten. Aber die Mournisch mussten auch andere Neuigkeiten gebracht haben, denn am nächsten Morgen war Vani verschwunden.
Ohne nachzudenken, überflog er den Brief. Dabei hätte er sich die Mühe sparen können, denn er hatte die Worte im Herzen eingeprägt. Der Brief war an ihn adressiert und an Travis.
Ich hoffe, ihr beide könnt mir verzeihen, aber selbst, wenn ihr das nicht könnt, weiß ich doch, dass ich das Richtige tue. Ich glaube, irgendwann werdet ihr mir zustimmen. Es spielt keine Rolle. Wenn ihr das hier lest, werde ich weg sein. Es ist sinnlos, nach mir zu suchen, denn ich bin T'gol. Ihr werdet meiner Spur nicht folgen können, denn ich werde keine hinterlassen.
Ich wusste schon seit vielen Jahren, dass es mein Schicksal ist, das Kind dessen auszutragen, der Morindu die Finstere aus dem Sand befreien wird, der sie begräbt. Mein Schicksal hat sich erfüllt, aber wie so oft nicht auf die Weise, wie ich es gedacht hätte. Ich werde tatsächlich ein Kind von dir austragen, Travis Wilder, aber ich werde es nicht dir schenken. Und auch nicht dir, Beltan von Calavan, auch wenn du es bist, der sie mit mir gezeugt hat. Stattdessen werde ich selbstsüchtig sein und sie für mich behalten. Warum? Ich bin mir nicht sicher. Die Karten sind noch nicht eindeutig. Aber ich habe mit meiner Al-Mama gesprochen, und eines ist sicher: Das Schicksal verläuft in einer Spirale um meine Tochter. Sie steht im Mittelpunkt von etwas Wichtigem. Vielleicht auch von etwas Schrecklichem. Ich vermag nicht zu sagen, was es ist, aber ich werde es herausfinden. Und wenn es gefährlich ist, werde ich sie davor beschützen. Selbst wenn das bedeutet, sie von ihrem Vater fern zu halten. Von ihren beiden Vätern.
Ich bitte euch noch einmal um Verzeihung. Ich habe euch beiden euer Kind weggenommen. Als Gegenleistung werde ich euch etwas geben, von dem ich hoffe, dass ihr es für genauso kostbar haltet: Ich gebe euch einander. Verschwendet dieses Geschenk nicht, denn was ich euch genommen habe, kann nicht ersetzt werden. Ihr müsst einander lieben. Für mich. Für uns. So wie ich das hier für meine Tochter tun muss. Möge das Schicksal uns alle leiten.
Vani
Das war alles. Keine weitere Erklärung, keine Gelegenheit, sie davon abzuhalten. Sie war einfach weg gewesen.
Sie wussten nicht, was sie damit hatte sagen wollen, dass sich die Linien des Schicksals um ihre – um ihre – Tochter schlangen, und Vanis und Sareths Al-Mama hatte auch keine Erklärung gegeben. Die alte Frau hatte bloß gekichert und gemeint, sie sollten sich lieber um ihr eigenes Schicksal sorgen. »Ausgenommen du, A'narai«, hatte sie hinzugefügt und mit dem verkrümmten Finger auf Travis gezeigt.
A'narai. Das Wort bedeutete Schicksalsloser. Was für Beltan keinen Sinn ergab, denn die Mournisch schienen zu glauben, dass er eines Tages dazu bestimmt war, die verloren gegangene Stadt ihrer Vorfahren zu finden.
»Ich glaube, Schicksal ist nichts anderes, als was man daraus
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