Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
gekommen, um den Scirathi zu entkommen, richtig?«
Die T'gol nickte und hielt Nim fester. »Warum fragst du?«
Übelkeit stieg in Deirdre hoch, als sie sich an das Bild erinnerte, das er ihr während ihrer letzten Unterhaltung vor drei Jahren geschickt hatte; ein Bild, auf dem zwei Gestalten in schwarzen Gewändern durch die Gasse einer Großstadt auf der Erde schlichen, die Gesichter von Masken verborgen. Goldenen Masken.
Deirdre holte tief Luft. »Weil ich glaube, dass sie bereits …«
Der Laut von zersplitterndem Glas übertönte ihre Worte.
8
Die Knochen würden hier für alle Zeiten liegen.
Im Verlauf der letzten drei Jahre war das Gras um sie herum dicht in die Höhe geschossen, war an den Seiten der größeren Hügel emporgeklettert und hatte sie in Grün gehüllt. In diesem Frühling war eine winzige Blume in dem hellsten Blau, das man sich vorstellen konnte, dort in Massen erblüht. Niemand hatte je zuvor eine solche Blume gesehen – nicht einmal die ältesten Hexen und die erfahrensten in der Kräuterkunde. Und auch wenn niemand zu sagen vermochte, wer den Namen als Erster aufgebracht hatte, nannte jeder die Blume bald Arynesseth.
In der Alten Sprache bedeutete das ›Aryns Tränen‹. Sobald sich der Name verbreitete, gab es auch schon eine Geschichte dazu, die sich so schnell verbreitete wie das Gras im Tal. In den Tagen nach dem Zweiten Krieg der Steine, so erzählte man sich, stand die tapfere Königin Aryn von Calavan auf der Mauer von Burg Todesfaust und verstreute die Asche des Ritters Sir Durge, der der edelste und wahrhaftigste aller Männer gewesen war. Der Wind trug die Asche in das Tal der Schattenkluft, und jeder konnte sehen, wo sie ihren Ruheplatz gefunden hatte, denn an diesen Stellen blühte das Arynesseth am dichtesten.
An Stellen wie dieser.
Grace Beckett – Königin von Malachor, Lady des Winterwaldes und Herrin der Sieben Domänen – stand am Fuß des Hügels, zu dem sie an diesem Morgen geritten war. Er gehörte zu den höchsten im ganzen Tal, erhob sich keine Achtelmeile vom Runentor, dessen riesige Eisenflügel offen standen und langsam, aber sicher verrosteten.
Während ihre honigfarbene Stute Shandis in der Nähe graste, kniete Grace nieder und teilte das Gras mit den Händen, legte einen von Sonne und Regen und Schnee ausgebleichten Schädel frei. Der Schädel war lang gezogen, die Augenhöhlen groß und in der Form von Juwelen. Es gab keinen Unterkiefer. Sie ließ das Gras sich wieder aufrichten und stand auf, drückte den rechten Arm gegen die Brust. Die Phantomschatten waren zugrunde gegangen. Genau wie die Feydrim und ihr Herr, der Fahle König. Trotzdem hielten sich die Schmerzen in ihrem rechten Arm, genau wie die Knochen im Gras. Genau wie die Erinnerungen.
Grace erklomm den Hügel. Es war Lirdath, und selbst so weit im Norden dieser Welt versprach es ein schöner und heißer Morgen zu werden. Bald wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und wünschte sich, etwas Leichteres als das Reitkleid aus grüner Wolle angezogen zu haben.
Nach mehreren Minuten erreichte sie die Hügelkuppe. Sie schnappte nach Luft und strich sich das blonde Haar aus dem Gesicht; es wurde wieder zu lang. Andere hätten es wunderschön gefunden, ein goldener Rahmen für ihr majestätisches Gesicht, aber Grace war es einfach nur lästig. Sobald sie wieder in der Burg war, würde sie ein Messer zur Hand nehmen.
Die Hände in die Hüften gestemmt, sah sie sich um. Von hier oben konnte sie das ganze Tal überblicken. Gezackte Berge stiegen steil vor dem blauen Himmel in die Höhe, und in der Ferne erhob sich Burg Todesfaust selbst wie ein Gebirge aus grauem Stein. Der Sommer war gekommen, das Tal war smaragdgrün. Aber an einigen Stellen schimmerten weiße Stellen wie Schnee.
Sie kniff die Augen zusammen und konnte es durch ihre Wimpern erneut vor sich sehen, wie es wie ein fauliger Pesthauch des Hasses aus dem Rachen des Runentors strömte: das Heer des Fahlen Königs. Die Ränge aus Feydrim und Phantomschatten und Trollen, Zauberer und Hexen ohne Herzen, waren nicht zu zählen gewesen, und sie waren nur aus einem Grund gekommen – die Welt für immer in den Schatten zu stürzen.
Aber sie waren gescheitert, dank des Mutes und der Opferbereitschaft zahlloser Männer und Frauen. Und eines Mannes mehr als aller anderen. Grace kniete nieder, strich über die Arynesseth, die auf dem grasigen Hügel wuchsen. Sie pflückte eine der kleinen weißblauen Blumen. Ihr Duft war
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