Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
unaufdringlich und sauber, so wie Schnee.
»Ich vermisse Euch, Durge«, murmelte sie. »Ich könnte Eure Hilfe brauchen. Es ist noch immer so viel zu tun.«
Sie verharrte eine Zeit lang so, zufrieden, dem Wind und den fernen Rufen der Falken zu lauschen. Schließlich stand sie auf, und als sie zur Burg zurückblickte, sah sie einen Reiter näher kommen. Er musste einen dringenden Grund haben, wenn er sich keine Mühe machte, sich zu verbergen.
Als der Reiter den Fuß des Hügels erreicht hatte, war sie bereits hinuntergestiegen, um ihn zu begrüßen.
»Ich dachte mir, Euch hier zu finden, Euer Majestät«, sagte Aldeth und stieg von einem Pferd, das so grau wie sein Nebelmantel war.
Grace hob eine Braue. »Ich habe Sir Tarus bloß gesagt, dass ich einen Ritt ins Tal unternehme. Woher habt Ihr gewusst, dass Ihr mich hier findet?«
»Ich diene Euch mit meinem ganzen Herzen, Euer Majestät«, sagte der Spinnenmann mit einem Grinsen, das verfaulte Zähne enthüllte. »Aber das bedeutet nicht, dass ich Euch in die Geheimnisse meines Handwerks einweihen muss.«
Sie verschränkte die Arme und wartete geduldig.
Aldeth warf die Hände in die Luft. »Gut, schön, wenn Ihr mich schon so foltern müsst. Er kann es mir nicht verübeln, dass ich Eurem Zauber nicht widerstehen kann.«
»Ich webe keinen Zauber, Aldeth«, sagte sie, aber der Spion schien nicht zuzuhören, und er hörte einige Minuten lang nicht davon auf zu reden, dass es nun wirklich nicht seine Idee gewesen war, zu Meister Larad zu gehen, dass er völlig dagegen gewesen sei, da er genau gewusst hätte, wie aufgebracht sie sein würde, aber dass Sir Tarus darauf bestanden hätte, den Runenmeister zu bitten, die Rune des Sehens zu sprechen, und dass ihm niemals auch nur im Traum eingefallen wäre, die Ruhe der Königin auf solche Weise zu stören.
»Nein, Ihr wärt einfach hinter mir hergeschlichen.«
»Genau!«, verkündete der Spinnenmann und schnippte mit den Fingern. »Auf diese Weise hättet Ihr nicht einmal geahnt, dass ich …«
Er biss sich auf die Zunge und sah aus, als müsste er sich gleich übergeben. Grace musste unwillkürlich lächeln. Er wurde tatsächlich besser; noch vor einem Jahr hätte er sich selbst ein viel tieferes Loch gegraben, bevor er endlich den Mund gehalten hätte.
»Ach, Aldeth«, sagte sie und tätschelte ihm die Wange. Dann stieg sie in Shandis' Sattel und zog die Stute herum. Dabei warf sie einen letzten Blick auf das Runentor.
Nach Sir Tarus' unaufhörlichem Drängen hatte sie vergangenen Sommer endlich eine Expedition nach Imbrifale befohlen. Tarus selbst hatte eine kleine Abteilung Ritter durch das Tor geführt, mit Aldeth und der Spinnenfrau Samatha als Späher. Meister Larad und die junge Hexe Lursa hatten sie ebenfalls begleitet, denn man konnte unmöglich sagen, welche Magie es in der Domäne des Fahlen Königs möglicherweise noch gab.
Einen ganzen Monat lang war Grace auf der Mauer von Burg Todesfaust auf und ab gegangen, hatte in das Tal hinausgeschaut und auf ihre Rückkehr gewartet. Sie hatte gehofft, durch die Weltenkraft mit Lursa sprechen zu können. Aber in dem Moment, in dem der Trupp das Runentor passiert hatte, war sämtlicher Kontakt abgebrochen, als wären ihre Lebensfäden mit dem Messer abgeschnitten worden. Die Eisenzahnberge, in die man Zauber eingewebt hatte, um den Fahlen König gefangen zu halten, hatten sich als Barriere erwiesen, die weder von Gedanken noch von Magie durchdrungen werden konnte.
Am ersten Tag des Revendath waren sie endlich zurückgekehrt. Die Gruppe hatte kein Mitglied verloren, aber sie alle hatten an ihrer Seele gelitten. Mit Ausnahme von Meister Larad hatte anscheinend keiner darüber sprechen können, was sie gefunden hatten, und selbst er hatte nur zögernd gesprochen, und so vergingen viele Tage, bis Grace endlich alles über ihre Entdeckungen erfahren hatte.
Imbrifale war tot. In dieser Domäne lebte nichts – weder Mensch noch Ungeheuer noch Tier, nicht einmal Bäume oder Pflanzen. Jedes lebende Wesen oder Ding, das dort existiert hatte, war im Verlauf der Jahrhunderte von der Magie des Fahlen Königs verkrüppelt worden. Es hatte nichts gegeben, das nicht mit ihm verbunden gewesen war, und als er und sein Meister Mohg vergingen, tat es auch alles andere.
Was sich dort in den tausend Jahren zugetragen hatte, in denen das Runentor verschlossen gewesen war, würde man nie erfahren, denn man hatte keine Chroniken entdeckt, aber man konnte sich aus den
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