Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
Vasallen und Untertanen zur Verfügung stehen müssen.«
Sie erlaubte ihm, ihr vom Pferd zu helfen. »Genau darum wünschte ich manchmal, ich könnte verschwinden.«
»Das geht jetzt nicht, Euer Majestät«, sagte Tarus streng. »Es gibt Arbeit.«
Grace seufzte. Das gehörte zu ihrem ewig währenden Kampf mit Sir Tarus. Sie hatte ihn vor drei Jahren zu ihrem Seneschall gemacht (nachdem Melia sie sanft daraufhingewiesen hatte, dass sie das Königreich nicht ganz allein führen musste), und Tarus hatte seine Stellung seitdem sehr ernst genommen. Manchmal glaubte sie sogar, dass er sie zu ernst nahm. Er arbeitete Tag und Nacht, und er schien kaum noch zu lächeln. Wo war der schneidige junge Ritter mit dem offenen Lächeln geblieben, den sie in den Wäldern des westlichen Calavan kennen gelernt hatte?
Er ist noch immer da, Grace. Er ist nur älter, wie jeder von uns.
Ein Stallbursche kam, um Shandis in den Stall zu bringen, und Tarus begleitete Grace zum Bergfried.
»Nun«, sagte sie, als sie sich der Flügeltür des Großen Saals näherten, »wollt Ihr mir verraten, was so wichtig ist, dass es nicht warten konnte? Oder wollt Ihr mich einfach damit konfrontieren und sehen, ob ich vor Schreck in Ohnmacht falle?«
»Jetzt, wo Ihr es erwähnt, ich habe auf die zweite Möglichkeit gehofft«, erwiderte Tarus. »Aber dann habe ich es mir anders überlegt«, fügte der Seneschall hastig hinzu, als sie ihm einen durchdringenden Blick zuwarf.
Obwohl er es ihr verriet, verspürte Grace einen scharfen Stich der Überraschung, als sie den Großen Saal betrat und die beiden Männer vor dem Podest stehen sah. Der eine war ihr völlig unbekannt. Er war noch jünger, klein aber durchaus gut gebaut, mit dunklen Haaren. Er trug ein graues Wams. Sein Gesicht war kantig, aber attraktiv, ein sinnlicher Mund milderte die Strenge seiner Züge. Er hielt einen Stab, in den Runen eingeschnitzt waren.
Den anderen Mann erkannte sie, aber erst nach sorgfältigem Nachdenken. Als sie ihn beim Rat der Könige auf Calavere kennen gelernt hatte, war er ein korpulenter Mann in protzigen Gewändern gewesen, mit hochmütigem Blick und mit Ringen überladenen Fingern.
Die Jahre hatten ihn sehr altern lassen. Jetzt war er dürr und trug ein schlichtes schwarzes Gewand, keinen Schmuck. Seine Knollennase war noch immer gerötet – Zeugnis einer Vergangenheit, in der er den Wein zu sehr geliebt hatte –, aber seine nahe beieinander stehenden Augen blickten klar und nüchtern. Er und sein Begleiter knieten bei ihrem Eintritt nieder.
»Erhebt Euch, Lord Olstin von Brelegond, bitte«, sagte sie, als sie ihre Überraschung überwunden hatte. »Ihr seid in Malachor willkommen.«
Ein sardonisches Lächeln erschien auf seinen Lippen, auch wenn der Ausdruck jetzt eher selbstironisch als arrogant wie einst war. »Ihr seid sehr freundlich, Euer Majestät. Freundlicher, als Ihr ein Recht dazu oder einen Grund habt. Auch wenn fast fünf Jahre vergangen sind, habe ich nicht vergessen, wie unhöflich ich Euch beim Rat der Könige behandelt habe, und ich schätze, Ihr habt es genauso wenig vergessen.«
Grace zuckte zusammen, denn es stimmte. Sie erinnerte sich sehr gut, wie Olstin alle Register gezogen hatte, um sie gegen König Boreas auszuspielen und sie dann – nachdem sie ihm befohlen hatte, eine Dienstmagd in Ruhe zu lassen, die er geschlagen hatte – bedroht hatte.
»Ihr habt damals nicht gewusst, dass ich eine Königin bin, Lord Olstin.« Sie konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. »Natürlich wusste ich auch nicht, dass ich eine Königin bin. Also lasst uns sagen, dass wir quitt sind, ja?«
»Ich denke nicht, Euer Majestät«, sagte Olstin und trat näher an sie heran. »Ihr müsst wissen, wir sind nicht mal annähernd quitt.«
Tarus warf Grace einen scharfen Blick zu, aber sie schüttelte unmerklich den Kopf. »Und warum, Lord Olstin?«
»Weil Brelegond Euch etwas schuldet, Euer Majestät. Es schuldet Euch Dank und seine Untertanenpflicht.« Grace war von diesen Worten zu erstaunt, um eine Erwiderung zu finden, aber Sir Tarus nahm ihren Arm und führte sie zu dem Stuhl auf dem Podest (sie weigerte sich, ihn Thron zu nennen) und drückte sie sanft auf den Sitz. Man stellte eine Stufe unter ihr zusätzliche Stühle für die Gäste auf, und Tarus befahl einem Diener, Wein zu holen; allerdings wählte Olstin stattdessen Wasser. Graces Überraschung wich langsam Faszination, als sie Olstin zuhörte. In den vergangenen drei Jahren hatte man
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