Die letzte Schlacht
erkennen. Von dort kam eine Truppe zur Unterstützung, von deren Existenz er noch nicht einmal gewusst hatte. Sie waren von Gestern aus nach Norden marschiert, und der Herr der Toten, der sie befehligte, hatte ihn am Nachmittag aufgesucht. Der Edle Jaresh. Wie der ausnehmend übel riechende Kerl ihm voller Freude erzählt hatte, warteten in Gestern so viele auf die Verschiffung, dass er und seine paar tausend Kämpfer den König auf dem Marsch nach Neratharn begleiten konnten.
»Euer Majestät?«
Khuran hatte vor der abendlichen Inspektion seiner Truppe vor seinem Zelt einen Kräutertee getrunken. Prosentor Kreysun, sein erster Adjutant, der Bruder des gefallenen Helden vom Herolodustal, war wie immer bei ihm.
»Ist das wirklich eine tsardonische Invasion, oder sind wir bloße Zuschauer? Huren, die dem Zug einer größeren Macht folgen und nach den Krümeln suchen, die vom Tisch fallen? Habt Ihr den Eindruck, dass ich noch den Oberbefehl innehabe?«
Kreysun antwortete viel zu hastig.
»Eure Männer stehen hinter Euch, was immer kommen mag, mein König.«
Khuran nickte. »Ihr solltet Diplomat werden, alter Freund. Das ist freilich nicht die Antwort auf meine Frage. Ich will es ganz unverblümt ausdrücken. Was, bei den Herren von Himmel und Sternen, habe ich eigentlich hier zu suchen?«
»Ihr beobachtet den Sturz der Konkordanz.«
Dieses Mal lachte Khuran. »Ja, das kann ich nicht bestreiten. Aber was glaubt Ihr, wer den Thron auf dem Hügel besteigen wird, wenn die Advokatin ausgeschaltet ist? Ich glaube nicht, dass ich es sein werde. Auch nicht mein Sohn, mit dem ich hoffentlich noch einmal sprechen kann.«
Kreysun schwieg einen Moment.
»Ihr könnt ganz offen reden, Kreysun«, fuhr Khuran fort. »Die Tage, an denen ich jedem den Kopf abhacken ließ, der seine Gedanken offen aussprach, sind lange vorbei. Außerdem würdet Ihr morgen trotzdem noch weitermarschieren, selbst wenn ich es täte.«
»Das wäre kein schöner Anblick, mein König.«
»Ihr habt Euch auf diesem Marsch nicht wohlgefühlt.« Khuran war jetzt friedlicher gestimmt. »Kommt herein, wir müssen reden.«
Die beiden Männer setzten sich mitten im großen Herrscherzelt auf die Kissen. Khurans Bett stand auf der linken, sein Esstisch auf der rechten Seite. Die Rüstung und die Waffen waren weiter hinten auf Gestellen untergebracht. Er entließ seine Diener und bat Kreysun, leise zu sprechen.
»Gorian braucht uns nicht«, sagte Khuran. »Das ist Euch doch sicher auch schon aufgefallen, oder?«
Kreysun nickte. »Aber ich bin nicht so sicher wie Ihr. Sollten wir anhalten? Falls Rhyn-Khur umkehrt und unsere Kräfte in Gestern sich weigern, die Toten zu transportieren, hat Gorian keine Rückendeckung mehr.«
»Er hat doch bereits erreicht, was er wollte, oder nicht? Vor uns sind dreitausend. Das sind mehr als genug, um die zehnfache Anzahl in die Flucht zu schlagen. Fünftausend kommen aus Gestern. Fünftausend. Ich fürchte, in diesem Land ist kein Mensch mehr am Leben. Er hat sie alle an die Küste gedrängt und dort ermordet. Außerdem benutzt er die Karkulas und die Herren der Toten als seine Augen und Ohren. Was geschieht nun, Prosentor, wenn er zu der Ansicht kommt, dass er uns nicht mehr braucht? Er könnte uns im Schlaf töten, obwohl er tausend Meilen entfernt ist. Auf einen Streich kann er fast zwölftausend neue Kämpfer in sein Heer aufnehmen.«
»Glaubt Ihr, er wird es versuchen?«
»Das ist nur eine Frage der Zeit. Was glaubt Ihr, warum die Herren der Toten beim Marschieren stets eine Hand an den Wagen der Gor-Karkulas legen? Sprecht. Welche Ängste plagen Euch?«
»Mein König, Ihr habt mir jetzt sogar neue vermittelt, über die ich nachdenken muss. Unsere Krieger sind unglücklich. Auch sie kommen sich vor wie der Tross hinter einer ruhmreichen Armee. Wir begehen Überfälle und kämpfen, wo wir nur können, doch dies ist keine richtige Schlacht. Wir tun nur, was Gorian sich ausgedacht hat. Niemand erhebt die Stimme gegen Euch, aber im Herzen fragen sich die Männer, welche Aufgabe wir noch haben. Wir sind ein Volk von Kriegern, das sich niemandem unterwirft. Und doch …«
Er hielt inne und sah Khuran an. Der König zeigte sich weder überrascht noch zornig angesichts dieser Worte. Er war ein Narr gewesen und hatte es erkannt. Darüber war er zornig.
»Und doch marschieren wir, wie es Gorian Westfallen gefällt. Ein Mann aus dem Herzen der Konkordanz, der uns alle in Angst und Schrecken versetzt, weil er tun kann, was
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