Die letzte Schlacht
grau durchwirktes rotes Haar entsprach dem Feuer, das in ihren Augen brannte. Die Toga mit der Schärpe des Aufstiegs und ihre Stola waren eine offene Herausforderung und sogar eine Beleidigung für die Würdenträger des Ordens, auf die sie warteten.
Vasselis ging zu ihr, und sie hakte sich bei ihm ein. Zusammen wandten sie sich von der Kanzlerin ab, betrachteten den blauen Himmel draußen und hörten den Lärm vor den Toren des Palasts.
»Da draußen geht es heiß her«, meinte Vasselis.
»Hier drinnen auch«, erwiderte Hesther. Die Advokatin gab einen unwilligen Laut von sich.
»Lass es einfach über dich ergehen«, empfahl Vasselis ihr.
»Wie könnte ich? Du warst nicht dabei, Arvan. Du hast das Blut und die Leichen der jungen Menschen nicht gesehen, die sie mit eigener Hand niedergemacht hat. Das hier ist doch nur eine Scharade. Die Asche der Kanzlerin sollte im Wind verstreut werden. Sie dürfte nicht fein herausgeputzt hier liegen, damit die Unschuldigen sie betrauern können, die nicht wie ich wissen, dass sie mit eigener Hand Kinder ermordet hat. Du musst schon entschuldigen, wenn es mir schwerfällt, höflich und unterwürfig zu bleiben.«
Eine Würdenträgerin des Ordens hob den Kopf und warf Hesther einen bitterbösen Blick zu, den diese völlig gelassen erwiderte. Herine kam die paar Schritte herüber und fasste Hesther am Arm.
»Frische Luft«, sagte sie.
Zu dritt traten sie auf den Balkon hinaus, an dessen Balustraden Flaggen hingen. Auf vier Sockeln standen frühe Genastroblumen, die einen wundervollen Duft verströmten. Um die Steine rankte sich Efeu. Was Herine auch hatte sagen wollen, sie schwieg nun, legte die Hände aufs Geländer und starrte hinaus, wo die Menge heulte und schrie. Der Lärm nahm noch zu, als die Kunde sich verbreitete.
»Die Stadt sollte leer sein«, keuchte Herine.
Vorbei am Hof, der voller Soldaten war, vorbei an den Mauern, die vor Speeren starrten, vorbei an den fünfhundert Kavalleristen, die hinter einer Phalanx mit Sarissen auf der Fläche vor dem Tor standen, blickte sie zu ihren Bürgern. Zehntausende hatten sich da draußen versammelt, drängten sich auf allen Zufahrtsstraßen und kletterten in die Bäume oder auf die Häuser, um sich auf die Dächer zu setzen. Sie rempelten einander an, schwankten und brüllten weiter.
Auf ihre Plakate hatten sie Beleidigungen und Forderungen geschrieben. Was aber wirklich wehtat, waren die Puppen, die sie an Pfähle gehängt hatten. Einige trugen die Farben des Aufstiegs, andere die grüne Schärpe und das Gold der Advokatur.
»Verstehen sie es denn nicht?«
»Leider verstehen sie es nur zu gut«, erwiderte Vasselis. »Sie verstehen, dass die Toten kommen und die Legionen sie nicht aufhalten können. Nur Gott kann es, und ihr Gott beschuldigt dich und die Aufgestiegenen.«
Hesther zog sich von beiden zurück.
»Soll ich immer noch gute Miene zum bösen Spiel machen?«
Herine kehrte in den Raum zurück. Sie wollte den Pöbel nicht mehr sehen, sondern lieber abwarten, bis die Gemüter sich wieder beruhigten.
»Warum nimmt das solche Ausmaße an?«
»Es dürfte daran liegen, dass die Gerüchte über den Tod der Kanzlerin durchgesickert sind«, sagte Hesther. »Der Orden hat natürlich dazu beigetragen, keine Frage. Jetzt präsentieren wir ihnen eine Kanzlerin, die zur Märtyrerin wurde. Ihr könnt sie auch nach ihrem Tod noch aburteilen. Warum zieht Ihr das nicht in Betracht?«
»Und was dann?«, fauchte Herine. »Werden sie dann alle brav nach Hause gehen?«
»Glaubt Ihr, sie werden gehen, wenn Koroyans Ruf makellos bleibt?«
Herine schüttelte den Kopf. »Die festliche Bestattung wird sie wenigstens ablenken.«
»Wir wollen warten, in welcher Stimmung die Sprecher sind«, schaltete sich Vasselis ein. »Bis dahin möchte ich darum bitten, dass wir alle uns genau an das halten, was Paul gesagt hat, und nicht die Fassung verlieren. Hesther?«
»Dann schweige ich am besten ganz«, sagte sie.
»Genau.«
»Sind sie schon im Gebäude?«, fragte die Advokatin.
»Sie waren an der Spitze des Pöbels«, erklärte Vasselis.
»Dann wollen wir sie ohne weitere Verzögerung hereinbitten.« Herine nickte Gesteris zu und wandte sich noch einmal an Hesther. »Überprüft doch bitte meine Frisur.«
Hesther zog ihr ein oder zwei Strähnen aus dem Gesicht. »So. Perfekt.«
»Danke, Mutter Naravny. Wollt Ihr hinter mir stehen? Ich brauche Eure Stärke.«
Gesteris öffnete die gewaltige zweiflügelige Tür am hinteren Ende des
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