Die letzte Schoepfung
Einsatz notfalls auch allein übernommen, doch mit Ramirez zusammen hatte er mehr Aussicht auf Erfolg. Wenn Ethan ihn nur finden konnte – und wenn der Profikiller seine Meinung inzwischen nicht geändert hatte.
Anacortes war ein hübsches Küstenstädtchen, doch selbst in solch einer Postkartenidylle gab es eine Art Unterwelt. Ethan begann mit den Bars an der Promenade, in denen Ramirez gewiss eine Spur hinterlassen hatte, wollte er von Ethan gefunden werden.
Eine Stunde später betrat er Joe's Place, eine Kneipe, die kaum anders aussah als die drei anderen, in denen Ethan vorher gewesen war. Die Beleuchtung war schummerig, und es roch nach schalem Bier und Zigarettenrauch. Einige Männer mit stark tätowierten Armen scharten sich um den einzigen Billardtisch. Eine alte Frau, die allein in einer Ecknische saß, nippte an ihrem Drink, während sich ein paar Stammgäste im Fernsehen ein Basketballspiel anschauten.
Ethan setzte sich auf den Hocker, der am weitesten von der Tür entfernt war, und bestellte sich ein Bier. Als der Barkeeper es brachte, zog Ethan eine Rolle Dollars aus der Jackentasche.
»Sind Sie Joe?«
»Ja. Und?«
Ethan löste einen Hunderter aus der Rolle und legte ihn auf die Theke. »Ich suche einen Freund.«
Der Mann schnaubte verächtlich. »Tun wir das nicht alle?«
»Einen guten Freund.« Ethan nahm einen weiteren Hunderter und legte ihn auf den ersten. »Ein Latino, knapp eins achtzig, gibt immer reichlich Trinkgeld.«
Joe beäugte die Scheine. »Hier kommen viele Mexikaner hin.«
»Der, den ich suche, ist anders.« Ethan spielte mit der Geldrolle, schnippte an der Ecke eines weiteren Hunderters. »Er bleibt stets für sich.« Nun sah er das Erkennen in den Augen des Barkeepers, gepaart mit plötzlich aufkommender Furcht. »Er trinkt nicht viel, sitzt nur herum und beobachtet die Leute.«
Joe zögerte, dann riss er seinen Blick von den Scheinen los. »Tut mir Leid, kenne ihn nicht, und auf 'n Hunderter kann ich nicht rausgeben. Wenn Sie's nicht kleiner haben, geht das Bier aufs Haus.« Er schlurfte davon.
Ethan nahm einen Schluck Bier und grinste.
Old Joe war ziemlich unruhig. Während er am anderen Ende der Theke einschenkte, blickte er immer wieder zu Ethan herüber. Ramirez war also nicht nur hier gewesen, er kam regelmäßig und machte die Einheimischen nervös. Ethan hatte sein Erkennungszeichen gefunden.
Nachdem er ein paar Münzen auf die Theke geworfen hatte, wandte er sich zur Tür. »Danke, Joe.«
Der Mann nickte. Es war fast komisch anzusehen, wie erleichtert er war. Doch er hatte sich zu früh gefreut. Ob er wollte oder nicht – er würde seinem neuesten Gast helfen. Dazu brauchte es nur ein wenig Überzeugungskraft. Zu dumm. Ethan hätte lieber nicht mit Geld nachgeholfen.
Draußen schaute er sich in der Nachbarschaft um. Zum Glück war es eine Gegend, wo jeder nur mit sich selbst beschäftigt war. Ethan ging die Straße entlang, umrundete den Block und näherte sich dem Hintereingang von Joe's Place.
Wie bei vielen Bars und Restaurants hatte die Hintertür keine Klinke. Sie ließ sich nur von innen durch einen Panikriegel öffnen, eine Stange, die man herunterdrücken musste. Es war nicht leicht hereinzukommen, wenn man nicht das passende Werkzeug hatte.
Ethan sah sich nach einem anderen Eingang um und entdeckte ein offenes Fenster in der Herrentoilette. Er zog sich hoch und ließ sich auf der anderen Seite auf den schmutzigen Fußboden fallen. Alles war staubig und voller Dreck. Kein Wunder, dass Joe glaubte, diesen Eingang würde niemand benutzen.
Ethan schlich zur Tür und schob sie gerade so weit auf, dass er den Korridor überschauen konnte. Er war lang und schmal. Am einen Ende war die Hintertür, am anderen ging es in die Kneipe. Neben dem Korridor befand sich auf der einen Seite ein großer Lagerraum; gegenüber gab es weitere Räume und ein Münztelefon. Ethan zog sein Messer, schlüpfte durch die Tür und zog sich in die Dunkelheit am unteren Ende des Korridors zurück.
Nun musste er nur noch warten. Falls er nicht vollkommen falsch lag, würde Joe bald antanzen.
Es war eine von Ramirez' bevorzugten Strategien: Er suchte sich eine passende Örtlichkeit aus und gab den Einheimischen seine Nummer mit der Bitte, ihn anzurufen, falls irgendetwas Interessantes geschah. Ramirez hatte es nicht nötig, die Leute zu bestechen oder ihnen zu drohen – seine bloße Anwesenheit reichte, den Menschen so viel Angst zu machen, dass sie mitarbeiteten. Deshalb
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