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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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und dass er sehr höflich war. Mehr nicht. Sie hatte sich ein eigenes Bild gezimmert, gefüttert von dem, was sie den Zeitungen entnehmen konnte, untermalt auch von ihrem Gespräch mit Mr. Hall. Danach hatte er sich aus ein paar Schlagwörtern und Begriffen in ihrem Kopf zusammengesetzt: Attraktiv. Intelligent. Karrierist. Ehrgeizig. Glatt. Berechnend oder zumindest kalkulierend.
    Sie hatte ihm die typischen Attribute zugewiesen, die man erfolgreichen Anwälten eben so zuschreibt. Hätte man sie nach der ersten Stunde des Zusammenseins mit ihm erneut gefragt, was sie von ihm hielte, so wäre ihr zunächst einmal nur ein einziger Begriff eingefallen: vorsichtig. Er war einer der vorsichtigsten Menschen, denen sie je begegnet war.
    Sie saßen in einem indischen Restaurant in der Marshall Street. Er hatte gefragt, ob sie indisches oder italienisches Essen bevorzuge oder etwas ganz anderes haben wolle, und plötzlich hatte sie gemerkt, wie viel Hunger sie hatte und dass ihr beim Gedanken an ein Lammcurry das Wasser im Mund zusammenlief.
    »Indisch«, hatte sie gesagt, und er hatte genickt und erwidert: »Ich kenne einen guten Inder in Soho. Wenn Sie mögen …«
    »Gern.«
    Er fuhr schnell und sicher durch den Londoner Abendverkehr. Er schien die Stadt wie seine Westentasche zu kennen, denn zweimal, als sich Staus andeuteten, nahm er Schleichwege durch kleine Nebenstraßen, deren verworrener Verlauf Rosanna völlig in die Irre geführt hätte, aber er kam offensichtlich genau dort wieder an, wo er hingewollt hatte. Er fand einen Parkplatz in gut erreichbarer Nähe des Restaurants, obwohl es nach menschlichem Ermessen dort keinen geben konnte; die Autos standen Stoßstange an Stoßstange. Beim Aussteigen fragte sich Rosanna, ob er den schwarzen Range Rover wohl schon fünf Jahre zuvor besessen hatte. War es das Auto, in das Elaine gestiegen war? Hatte sie auf denselben Polstern gesessen? Der Wagen sah zumindest nicht mehr neu aus, aber sie mochte nicht fragen. Marc Reeve hatte sich unter größten Vorbehalten überhaupt nur bereit erklärt, sich mit ihr zu treffen, sie wollte ihn nicht verschrecken, indem sie ihn sofort mit Fragen bombardierte und die eifrige Reporterin herauskehrte.
    Das Restaurant war warm und gemütlich, es roch wunderbar nach indischen Gewürzen, und alle Ober trugen bestickte Jacketts und große Turbane. Es war noch früh am Abend und zudem mitten in der Woche, und so waren nicht allzu viele Tische besetzt. Marc Reeve fragte nach einem Tisch in der hintersten Ecke. Rosanna war klar, dass er keine Zuhörer wollte.
    Sie bestellten ihr Essen. Während sie warteten und an dem Wein nippten, der ihnen sofort gebracht wurde, machten sie nur belanglosen Smalltalk. Rosanna erzählte ein wenig vom Leben in Gibraltar, dann sprachen sie über das Wetter in England und über die katastrophale Verkehrssituation in London. Das persönlichste Statement, das Reeve dabei von sich gab, war: »Manchmal träume ich davon, aufs Land zu ziehen. Wir haben so wunderschöne Orte in England. Ruhige Orte.«
    Sie musterte ihn unauffällig. Aus irgendeinem Grund hatte sie ihn sich gebräunt vorgestellt, wenn nicht von der Sonne, dann doch vom Solarium, aber er war sehr blass. Die typische Winterblässe, die den Menschen Mittel- und Nordeuropas im Februar zu eigen ist. Dunkle Haare, hier und da von ein paar grauen Strähnen durchzogen. Hemd, Krawatte, dunkler Anzug. Er kam wahrscheinlich direkt aus seinem Büro. Er sah müde aus.
    Schließlich tat er selbst den ersten Schritt. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst, er neigte sich ein wenig vor und blickte Rosanna sehr direkt an.
    »Wir haben uns nicht getroffen, um über das Wetter oder den baldigen Verkehrsinfarkt Londons zu sprechen«, sagte er, »sondern über Elaine Dawson. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich mich zu dieser Begegnung mit Ihnen wirklich ausschließlich deshalb bereit erklärt habe, weil ich nachvollziehen kann, dass Sie aufgrund Ihrer Freundschaft zu Miss Dawson auf sehr persönliche Weise an ihrem Schicksal interessiert sind. Ich gehe aber davon aus – und bitte verzeihen Sie, wenn das wie eine Unterstellung klingt –, dass es sich bei dieser Darstellung nicht um einen journalistischen Trick handelt. Ebenso verlasse ich mich auf Ihre Versicherung, dass wir hier ein rein privates Gespräch führen und dass ohne meine ausdrückliche Autorisierung nichts davon in der Presse landet. Das ist meine Bedingung für diesen Abend.«
    Rosanna nickte. »Ich stehe voll zu

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