Die Letzte Spur
unheilverheißend.
Er geleitete sie, wie schon am Vortag, in die Küche, wo Sally und Angela am Tisch saßen und einer der Söhne, Patrick, mit einer Bierdose in der Hand in einer Ecke lehnte. Sally hatte zwar wie üblich getrunken, lag jedoch, da sie über Mittag einen Arzttermin gehabt hatte und für fast drei Stunden von daheim und damit von ihrem Schnaps ferngehalten worden war, ein gutes Stück hinter ihrem üblichen Konsum. Für ihre Verhältnisse war sie sogar fast nüchtern. Sie blätterte in einer Zeitschrift. Angela trank einen Tee.
»Die Polizei schon wieder«, sagte Gordon, als sie eintraten.
Irgendwie war auch den anderen sofort klar, dass eine Bedrohung in der Luft lag. Angela erhob sich unwillkürlich. Patrick ließ die Bierdose, die er gerade an den Mund gesetzt hatte, sinken. Sally blickte auf.
»Ja?«, fragte sie alarmiert.
Burns räusperte sich. »Ich muss vorwegschicken, dass wir keineswegs sicher sind, dass es sich um Ihre Tochter Linda handelt …«, begann er.
»Sie haben sie gefunden?«, fragte Angela.
»Das eben wissen wir nicht«, antwortete Burns. Er zögerte, dann gab er sich einen Ruck. »Heute Mittag hat eine Spaziergängerin im Epping Forest die … Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Der Beschreibung nach könnte es Linda sein.«
»Eine Leiche?«, fragte Gordon schwerfällig.
Sally presste sich die Hand auf den Mund.
»Scheiße«, sagte Patrick.
»Wie gesagt«, mischte sich Carley ein, »wir können nicht sicher sein. Deshalb wäre es gut, wenn jemand von Ihnen uns begleiten würde, um die Tote zu identifizieren – oder eben um auszuschließen, dass wir es mit Linda zu tun haben.«
»Was soll sie denn im Epping Forest?«, fragte Gordon. »Da ist sie doch noch nie gewesen!«
»Vorläufig können wir nicht sagen, ob das Verbrechen überhaupt dort passiert ist oder ob das Mädchen erst später dorthin gebracht wurde. Der Gerichtsmediziner hat einiges zu tun in diesem Fall. Die Tatsache, dass sie im Regen da draußen gelegen hat, macht es nicht einfacher, die genauen Umstände zu rekonstruieren.«
»Wie ist sie … ich meine, wie hat man sie …«, begann Angela, vermochte jedoch nicht auszusprechen, was sie sagen wollte.
Burns wusste, was sie hatte fragen wollen. »Wir haben den Abschlussbericht natürlich noch nicht. Es scheint, als sei der Tod durch Ertrinken eingetreten.«
»Linda konnte aber schwimmen«, warf Patrick aus seiner Ecke ein, »und zwar ziemlich gut sogar.«
»Das stimmt«, sagte Sally, »als Kind war sie sogar in so 'ner Schwimmmannschaft. Die haben Wettkämpfe gemacht. Sie hat zwei Pokale heimgebracht, stimmt's, Gordon?«
»Stimmt«, bestätigte Gordon. Ein Anflug von Hoffnung legte sich über die Gesichter aller anwesenden Familienmitglieder, eine Hoffnung, die Constable Burns sogleich wieder zerstören musste.
»Sie ist nicht … einfach so ertrunken«, sagte er vorsichtig, »es hat den Anschein, als sei sie… man hat sie gefesselt an den Rand eines Weihers gelegt. Sie war wahrscheinlich bewusstlos. Ihr Kopf lag im Wasser. Sie musste ertrinken.«
Stille. Da die Biggs keine Küchenuhr besaßen, erklang nicht einmal das übliche Ticken. Nur der Kühlschrank brummte leise.
Nach ein paar Sekunden sagte Carley: »Vielleicht geht es überhaupt nicht um Linda, und Sie alle machen sich jetzt umsonst das Herz schwer. Mr. Biggs, würden Sie uns begleiten?«
Gordon fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Die Hand zitterte dabei leicht. »Hat man sie … vergewaltigt?«, fragte er leise.
»Vor einer möglichen Identifizierung möchte ich nicht in weitere Details gehen«, wich Burns aus.
Sally stand auf. »Ich komme auch mit«, verkündete sie. »Gordon, wir gehen da jetzt zusammen hin.«
»Mum, ich glaube, das schaffst du nicht«, wandte Angela ein. Sie war aschfahl im Gesicht.
»Ich will aber«, beharrte Sally, »vielleicht ist das meine Linda, die sie gefunden haben. Komm, Gordon. Das ist vielleicht unser Kind. Wir müssen da jetzt hingehen.«
»Ich muss Schuhe anziehen«, sagte Gordon. Er trug Filzpantoffeln. Sie machten ein trauriges Geräusch, als er aus der Küche schlurfte.
»Mum«, sagte Angela flehend.
»Du kümmerst dich um deine Brüder«, wies Sally sie an, »die Kleinen kommen jeden Moment nach Hause. Ihr sagt ihnen noch nichts. Mach ihnen Abendbrot, und bring sie ins Bett. Okay? Kann ich mich darauf verlassen?«
»Okay«, sagte Angela. Sie begann zu weinen.
»Patrick, du hilfst ihr«, sagte Sally.
Für gewöhnlich widersprach
Weitere Kostenlose Bücher