Die Letzte Spur
der ersten Begegnung kam ihr Mrs. Smith-Hyde irgendwie missbilligend vor, aber möglicherweise war das einfach ihre Natur und hatte nichts weiter zu bedeuten.
»Da bin ich«, erklärte sie überflüssigerweise.
»Das sehe ich«, erwiderte ihre neue Wirtin streng, »unvernünftig, derart schweres Gepäck so weit zu schleppen! Da kann man sich leicht verheben, und später hat man es dann mit den Bandscheiben!«
»Es gab keine andere Möglichkeit. Und ehe ich es vergesse: Haben Sie vielleicht ein altes Fahrrad, das Sie mir verkaufen könnten? Oder kennen Sie jemanden, der eines hat?«
»Ein Fahrrad?«
»Ich komme sonst nachts nicht vom Elephant in Langbury zurück. Nach acht Uhr fährt kein Bus mehr.«
»Wissen Sie«, sagte Mrs. Smith-Hyde, »ich habe mir das überlegt. Es gefällt mir nicht, dass Sie in dieser Kneipe arbeiten. Kein guter Ort für eine junge Frau. Und jede Nacht mit dem Fahrrad unterwegs zu sein… wie stellen Sie sich das denn im Winter vor? Ganz abgesehen von den Gefahren, die selbst hier in unserer friedlichen Abgeschiedenheit lauern können.«
Sie erstarrte vor Schreck. Wollte Mrs. Smith-Hyde ihr das Apartment nun doch nicht vermieten? Es erschien ihr unvorstellbar, zu Mr. Cadwick zurückzukehren.
»Ich … nun, es ist meine Arbeit …«, stotterte sie.
»Ich könnte eine Putzfrau brauchen«, erklärte Mrs. Smith-Hyde unumwunden, »und ich weiß von etlichen Familien, denen das ebenso geht. Die junge Frau, die bislang für das halbe Dorf geputzt hat, bekommt ein Baby und fällt für längere Zeit aus. Wie wäre es? Sie arbeiten für mich, und ich empfehle Sie auch den anderen. Sie können abends zu Hause bleiben und haben überhaupt ein ruhigeres Leben.«
Sie überlegte. Ruhig würde ihr Leben wahrscheinlich nicht sein. Es war sicher nicht leicht, für Mrs. Smith-Hyde zu arbeiten, und wer wusste, wie die anderen waren. Allerdings ersparte sie sich tatsächlich die nächtlichen Radtouren, und zudem konnte sie dann ihre Brücken in Langbury wirklich endgültig abbrechen. Sie hatte sich schon ein paar Mal gefragt, ob Mr. Cadwick sie in seinem Ärger immer wieder im Elephant aufsuchen und behelligen würde. Wenn sie Mrs. Smith-Hydes Angebot annahm, ginge sie allen Problemen aus dem Weg.
»Ich überlege es mir«, sagte sie.
»Aber bitte nicht zu lange«, schnaubte Mrs. Smith-Hyde.
Im Grunde hatte sie sich bereits entschieden. Der Gedanke an einen sauberen Schnitt fühlte sich gut an.
Angela wurde am Donnerstagmittag fündig. Sie hatte am Mittwochabend nicht mehr lange im Computer suchen können, weil Gordon plötzlich zurückgekommen und völlig zusammengebrochen war. Er hatte im Wohnzimmer gekauert und geschluchzt und wieder und wieder beteuert, wie sehr er seine Linda geliebt hatte. Zwar war Angela versucht gewesen, ihn daran zu erinnern, wie abfällig er stets über sie gesprochen und wie lieblos er sie immer wieder behandelt hatte, aber dann hatte doch ihr Mitleid gesiegt, und sie hatte sich zu ihm gesetzt und ihn in den Arm genommen.
»Wer tut so etwas, wer tut so etwas?«, hatte er ein ums andere Mal gefragt, aber wie sollte sie ihm darauf eine Antwort geben? Schließlich erfüllten sie die Umstände von Lindas Tod ja selbst mit nichts als Fassungslosigkeit.
Ja, welcher Mensch tat einem anderen Menschen etwas Derartiges an?
Da sie sich für den Rest der Woche krankgemeldet hatte, blieb sie auch am Donnerstag daheim. Sally hatte mit einem für sie ungewöhnlichen Aufwand an Energie am Morgen ihre drei Söhne dazu überredet, in die Schule zu gehen, danach war sie mit Schlaftabletten und Schnaps angefüllt in der Küche in sich zusammengesunken. Gordon saß bei ihr und lamentierte vor sich hin, ohne dass ihm irgendjemand zugehört hätte.
Angela durchsuchte erneut die Masse an Eintragungen zum Mordfall Jane French, stieß aber zunächst nur auf die ewig gleichen Fakten: Janes Bruch mit der Familie, ihre Arbeit als Prostituierte in London, die Aussagen ihrer Freundin und Wohnungsgefährtin, was das gemeinsame Leben anging. Nichts von all dem ließ sich verwerten. Es schien keinen Berührungspunkt mit Linda Biggs zu geben.
Aber dann fand sie ein ausführlicheres Interview mit der Zimmergenossin, und zum ersten Mal wurde ein Fakt erwähnt, der sie aufhorchen ließ.
»Sie hatte offenbar irgendwo eine neue Geldquelle entdeckt«, hatte die Freundin auf die Frage nach Jane Frenchs Lebensumständen geantwortet, »jedenfalls in den letzten Wochen vor ihrem Verschwinden. Sie kaufte sich
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