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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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gut geht? Sie eigenhändig nach Somerset zurückkutschieren, um sicherzugehen, dass sie keinen Blödsinn macht? Aber das sagt sich jetzt leicht. Im Übrigen – wie hätte ich mir das anmaßen können? Ich hatte keinen Teenager vor mir. Sie war jung, aber sie war erwachsen. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte.«
    »Ich denke«, sagte Rosanna sanft, »Sie müssen sich nichts vorwerfen.«
    Reeve schüttelte den Kopf. »Doch. Ich muss mir etwas vorwerfen. Aber kein Versäumnis. Ich muss mir nicht vorwerfen, etwas nicht getan zu haben, ich muss mir vorwerfen, etwas getan zu haben . Es war eine grobe Fehlhandlung, diese weinende junge Frau mit zu mir nach Hause zu nehmen. Es war die dümmste Tat meines Lebens. Es war …«, mit einer fast wütenden Bewegung legte er den zerbröselten Keks auf den Tisch, »es war kompletter Schwachsinn!«
    »Sie wollten helfen.«
    »Ja, ich wollte helfen. Und ich dachte einfach nicht an irgendwelche sich möglicherweise ergebenden Verwicklungen. Und dennoch … es gab da einen kurzen Augenblick auf dem Flughafen …« Er schwieg.
    »Ja?«, fragte Rosanna.
    Er sah sie nicht an. »Es gab einen Augenblick, da funktionierte mein Sicherungssystem. Kurz bevor ich ihr anbot, mitzukommen. Es war … fast wie ein Reflex. Ich sah sie an und checkte in Gedanken ihr Alter.«
    »Ihr Alter?«
    »Ich klärte für mich ab, dass sie nicht minderjährig war. Nicht, weil ich irgendetwas mit ihr vorgehabt hätte. Aber ein minderjähriges Mädchen hätte ich nicht mitgenommen. Einfach, um mir jede Art von Ärger zu ersparen. Und das ist es, was ich mir heute so übel nehme. Dass ich ein Warnlicht gesehen, es aber zu schnell ausgeschaltet habe. Elaine Dawson war deutlich mindestens zwanzig Jahre alt. Damit war für mich das Problem abgehakt. Und das war der Fehler. Mir hätte sofort klar sein müssen, dass aus dem Umstand, eine wildfremde Frau mit nach Hause zu nehmen, Schwierigkeiten erwachsen können, ganz gleich, ob sie fünfzehn ist oder dreiundzwanzig.«
    »Ein Reflex«, sagte Rosanna, »Sie sprachen von einem Reflex.«
    Er lächelte schwach. »Den Reflex haben wahrscheinlich die meisten Männer.«
    »Schnell zu checken, ob eine junge Frau minderjährig ist oder nicht?«
    »Na ja…«, meinte er entschuldigend.
    Sie überlegte. Oder haben ihn nur die Aufreißer? Wie du? Laut der Aussage deines Nachbarn … Sie schüttelte diesen Gedanken rasch wieder ab. Sie durfte den Behauptungen von Marc Reeves einstigem Nachbarn nicht zu viel Gewicht beimessen. Seine persönliche Abneigung war allzu spürbar gewesen.
    »Über diesen kurzen Moment, in dem Sie eine Warnung spürten, haben Sie nie gesprochen, oder?«, fragte sie. »Jedenfalls findet sich nichts in den Presseartikeln.«
    »Nein, darüber habe ich nicht gesprochen. Man hätte das gegen mich ausgelegt. Man hätte geglaubt, ich habe Elaine vorsätzlich mitgenommen, weil ich ein Abenteuer suchte, und das wäre ein weiterer Schritt in Richtung Vergewaltigung und Mord gewesen, wohin ja die meisten gern wollten. Wohin sie dann allerdings trotzdem gingen, egal, was ich zu meiner Rechtfertigung vorbrachte.«
    Sie waren an dem Punkt angelangt, der für Rosanna noch immer unklar war. Obwohl sie so viel darüber gelesen hatte. Obwohl es Aussagen von Marc Reeve dazu gab. Sie war bislang noch nicht sicher.
    »Mr. Reeve«, sagte sie zögernd, »bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber… es gibt da noch etwas…«
    »Ja?«
    »Etwas, das ich nicht ganz verstehe. Obwohl Sie es oft genug erklärt haben. Ich möchte nicht, dass Sie glauben, ich misstraue Ihnen, oder …«
    »Fragen Sie doch einfach.«
    Sie gab sich einen Ruck. »Es klingt vielleicht blöd, aber es tut mir leid: Noch keine Ihrer Antworten auf diese Frage hat mich überzeugt. Deshalb stelle ich sie noch mal, obwohl sie Ihnen wahrscheinlich schon zum Hals heraushängt: Weshalb haben Sie Elaine Dawson an jenem 10. Januar mitgenommen? Warum haben Sie dieser wildfremden Frau ein Bett in Ihrem Haus angeboten? Was war an ihr, dass Sie einen solchen Schritt taten? Was hat sie in Ihnen berührt?«
    Sie hätte gedacht, dass er ärgerlich reagieren würde. Zu oft schon war ihm diese Frage gestellt worden.
    Zu ihrer Überraschung aber sah er sie nur sehr nachdenklich an.
    »Das ist eine gute Frage«, sagte er schließlich, »so wurde sie noch nie formuliert. Dabei trifft es so den Punkt. Was hat Elaine Dawson in mir berührt? Darum geht es bei all dem, nicht wahr? In erster Linie darum. Ich will versuchen, Ihnen

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