Die letzte Visite
pressend in
meine Fußsohlen. Ich rieb sie wechselseitig an den Waden. Viel kam nicht dabei
heraus.
Das Blut zog sich langsam, aber sicher
aus allen Gliedmaßen zurück. Meine Zähne schlugen aneinander wie Kastagnetten.
Die Haare waren ein Turban aus Eis.
Als meine Uhr zehn zeigte, war ich so
weit, nacheinander in ohnmächtigen Zorn und in Mutlosigkeit zu verfallen.
Niemals würde ich das aushalten bis zum anderen Tag. Die ganze schöne Leiter
half mir nichts. Im Wasser hätte ich es schneller hinter mir gehabt. Jedesmal
auf dem Tiefpunkt schlug meine Stimmung wieder um, und die Lebensgeister gewannen
die Oberhand. Wie lange noch? Eine Stunde war erst um, eine lächerliche, magere
Stunde. Unten war mein Bett mit Wärme und Schlaf. Es war zum Kotzen.
Noch mal schwimmen? Ich erwog den
Gedanken ernsthaft. Viel kälter konnte es nicht sein, und ich lag lang auf dem
Wasser und konnte Arme und Beine ausruhen. Hier trug ich selber mein ganzes
Gewicht, dort nahm mir das Wasser einiges davon ab. Aber würde ich wieder warm
werden? Noch mehr frieren, und ich konnte mich nicht mehr halten, weder im
Wasser noch auf der Leiter. Es war alles gleichgültig, alles.
Ein Stromstoß auf dem elektrischen
Stuhl hätte mir wahrscheinlich keinen größeren Schlag verursachen können als
das Geräusch. Ich bewegte keinen Finger und hielt den Atem an. Kein Irrtum. Es
war draußen und kam näher, dicht an der Wand des Bassins. Zum zweitenmal an
diesem Abend hörte ich Schritte.
Die Gedanken stürzten über mein armes,
kaltes Gehirn her wie ein Schwarm. Wer kam da? Wer tat etwas um diese Zeit auf
dem Turm? Der Mörder. Der, der mich reingestoßen hatte. Wollte er sich
überzeugen vom Erfolg?
So schnell wurde mir also die
Entscheidung abgenommen. Ich mußte zurück ins Wasser. Der Kerl konnte mit einer
Lampe das ganze Becken ausleuchten. Er konnte mich sehen, abknallen, mehr
Wasser reinpumpen, weiß der Teufel was alles. Oder so tun, als wollte er mir
raushelfen und mich dann erledigen. Ein Gegner war ich nicht mehr.
Die Schritte hallten durch den Stein
wie durch einen ungeheuren Resonanzboden. Der Besucher war auf der Treppe.
Ich ließ mich so schnell und so lautlos
wie möglich hinunter.
Ich hatte die Empfindung, in Speiseeis
zu tauchen. Mit Gewalt preßte ich meine Kiefer zusammen. Meine Füße fühlten
nichts.
Ich spürte, daß es meine letzten
Reserven waren, mit denen ich mich bewegte. Es war fraglich, ob ich nachher
wieder hoch zu den oberen Sprossen kommen würde. Ich drückte mich mit den
Händen an der Leiter abwärts, fand die erste Sprosse unter der Wasseroberfläche
und tauchte so tief ein, daß nur noch Ohren und Nase herausragten.
Die Schritte klangen jetzt über mir von
der Plattform her. Wenn der Kerl eine Luke öffnete, wußte ich, woran ich war.
Ich konnte nur die rechts vom Erker erkennen, die linke war durch ihn verdeckt,
die mittlere durch die Basis des Turmes.
Die Wellen kräuselten sich um mich herum.
Lange würde ich es nicht aushalten, das stand fest.
Ich konzentrierte mich mit aller
verbliebenen Energie auf jedes Geräusch. Man mußte hören können, wenn ein
Lukendeckel geöffnet wurde, es würde quietschen oder klappen. Ich wartete ewige
Sekunden darauf, und dann fiel mir meine Jacke ein, die über mir hinter die
Sprosse gequetscht war. Kein Mensch konnte sie übersehen, wenn er mit einer
Lampe durch die richtige Luke schaute.
Eine tiefe Verzweiflung packte mich.
Ich wollte untertauchen, nichts mehr hören und sehen. Dann wieder wollte ich
hoch und das verräterische Ding herunterziehen. Es war zu spät dazu. Es machte
Lärm und kostete die letzte Kraft. Zu spät.
Ich blieb, wo ich war und wartete
zitternd. Unermeßlich hoch sah ich den Mondschimmer über der Luke, es waren nur
ein paar Meter, ich wußte es, ganz nah und ewig weit weg.
Nichts rührte sich an den Luken. Ich
sah keinen Schein einer Lampe und keinen Schatten eines Körpers. Dann drang
wieder der Hall von Schritten an meine Ohren, er kam jetzt aus einer anderen
Richtung, mehr von der Mitte, vom Wasser her. Im nächsten Augenblick wußte ich,
was das bedeutete. Der Ton pflanzte sich durch den Sockel des Turmes fort.
Jemand stieg zum Turm hinauf.
Ein Anflug von Freude überkam mich. Was
tat der Mörder auf dem Turm? Warum kümmerte er sich nicht um die Luken und um
das Bassin? Von dort oben konnte er niemals feststellen, was mit mir los war.
Blieb nur eine Möglichkeit. Es war nicht der Mörder. Es mußte irgendein später
Spaziergänger
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