Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
Kate irgendwo einzuordnen. » Verzeihung, kenne ich Sie? «
» Ich bin die Mutter von Amelia Baron « , sagte Kate in der Hoffnung, dass er zusammenzucken würde. Was er nicht tat. » Können wir uns kurz unterhalten? «
» Ach so « , sagte Ian, der nun doch ein bisschen nervös wirkte, wenn auch längst nicht so sehr, wie Kate erwartet hatte. » Ich fürchte, ich muss rein, sonst komme ich zu spät zum Unterricht. «
» Ja, und wir schreiben in der ersten ’ne Chemiearbeit « , sagte das Mädchen und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor Kates Nase herum. » Vielleicht ein andermal? «
Kate biss die Zähne zusammen, um nicht nach dem Finger zu schnappen. » Bitte, Ian « , sagte sie etwas freundlicher. » Es dauert nur eine Minute. «
» Ja, aber leider ist eine Minute zu lang und… « Das Mädchen verstummte, als Ian ihr, offenbar verärgert über ihre Dreistigkeit, einen scharfen Blick zuwarf. » Sorry « , sagte sie kleinlaut.
» Wir sehen uns im Chemiesaal, Susan « , sagte Ian. » Sag MrHale, dass ich kurz aufgehalten wurde. «
» Was kann ich für Sie tun, Mrs Baron? « , fragte er, nachdem das Mädchen gegangen war. Er schob die Hände tief in seine Hosentaschen.
Es war eine jungenhafte Geste, die nicht zu dem ansonsten ziemlich erwachsenen Eindruck passte, den er auf Kate machte. Als versuchte er, sich verletzlicher zu geben.
» Was haben du und Amelia mitten am Tag bei uns zu Hause gemacht? «
» Mitten am Tag? « , wiederholte Ian. Er stellte sich dumm. Aber es war kein bisschen überzeugend. » Bei Ihnen zu Hause? «
» Meine Nachbarin hat euch gesehen « , sagte Kate. » Ich möchte nur wissen, was sich da abgespielt hat. Warum ihr beide dort wart. «
» Was sich abgespielt hat? « , fragte Ian mit großen Augen. » Sie meinen doch nicht etwa… «
» Ich meine nicht, dass ihr Sex hattet. Aber ich verstehe nicht, was ihr beide mitten am Tag bei uns zu Hause zu suchen hattet « , sagte Kate. Natürlich hatte sie schon an Drogen gedacht. Inzwischen hielt sie fast alles für möglich. Und Ian wirkte weiß Gott wie ein raffinierter Typ, der in alles Mögliche verwickelt sein konnte. » Was es auch gewesen sein mag, ich werde es niemandem erzählen. Ich möchte einfach… ich muss wissen, was mit meiner Tochter passiert ist. Ich muss wissen, was sie gemacht hat. «
Ian schloss einen Moment lang die Augen, dann schaute er über Kates Schulter hinweg, als überlegte er, was er tun sollte. Schließlich sah er zu Boden und trat nach einem Steinchen.
» Ich musste für meinen Club eine Aufgabe erfüllen und Amelia eine für ihren. Ehrlich gesagt, wollte ich es nicht machen, aber sie hat darauf bestanden. «
» Was wolltest du nicht machen? « , fragte Kate. Ihr Herz pochte.
» Die Fotos « , sagte Ian, jetzt wieder etwas entspannter.
» Die Fotos, die nachher in dem Blog zu sehen waren? « , fragte Kate. Sie versuchte sich zu beherrschen, aber vor ihrem geistigen Auge lief ein Film ab, in dem ihre süße, kleine Tochter sich für diesen selbstgefälligen, struppigen Highschoolschwarm auszog und den Hintern in die Höhe reckte. Was machte es schon für einen Unterschied, dass ihre Tochter lesbisch gewesen war, wenn er heterosexuell war. » Du hast diese Fotos von Amelia gemacht? «
Während sie Ian Greene anschaute, wie er lässig und herausfordernd vor ihr stand, musste Kate an all die Jungs denken, die sie früher behandelt hatten, als hätte sie genau den Wert, den sie ihr zusprachen. Und an all die Männer, die sie später in dem Glauben gelassen hatte, dass sie auch noch recht hatten. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, dass Amelia das erspart bleiben würde.
» Aber, wie gesagt, es war nichts Anstößiges. « Ian lächelte sie an, ohne die Wut zu sehen, die sich in ihrem Gesicht abzeichnen musste– sie brachte ihre Wangen zum Glühen und schien ihr aus allen Poren zu dringen. » Eigentlich finde ich, dass die Fotos ganz gut geworden sind. Wie auch nicht. Amelia hatte einen schönen, gut durchtrainierten Körper. Um das zu sehen, brauchte man wirklich keine Lesbe zu sein. «
Es dauerte einen Moment, bis Kate sich dessen bewusst wurde, dass sie ihn geohrfeigt hatte. Hart und mehr als einmal. Ians Blick drückte Verblüffung aus, seine Wange war gerötet, und ihre Hand brannte. Aber nachdem sie es begriffen hatte, hätte sie ihm am liebsten gleich noch eine runtergehauen. Am liebsten hätte sie so lange zugeschlagen, bis irgendetwas in ihr Erleichterung gefunden hätte. Und sie hätte es
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