Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
sicher, ob ich das würde durchziehen können. Ich sollte mir irgendeinen richtigen Deppen aussuchen– so einen verklemmten Typen, der ganz bleich war, weil er nur zu Hause hockte und mit seiner Xbox spielte– und ihm Mails schreiben und so tun, als würde ich auf ihn stehen. Die Sache sollte sich eine ganze Weile hinziehen, bis ich ihn so weit hatte, dass er mir Nacktfotos von sich schickte. Ich wusste nicht, wie ich aus der Sache rauskommen sollte, ohne Gefahr zu laufen, dass Zadie mich einen Kopf kürzer machte. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich mit diesen bleichgesichtigen Jungs viel zu viel gemeinsam hatte, um so was durchzuziehen.
Andererseits hätte ich noch vor Kurzem geschworen, dass ich nie im Leben so etwas wie das mit Mr Zaritski tun würde. Es war sogar ziemlich einfach gewesen, weder eine Herausforderung an mein Gewissen noch an meine Geschicklichkeit. Ich hatte ihn mit einem Kreuzworträtsel aufs Klo gehen sehen. Sein Morgenspaziergang, über den sich alle lustig machten, immer zur selben Uhrzeit, und er dauerte immer genau zehn Minuten. Es war gerade große Pause, und die Flure waren leer. Aber irgendjemand musste mich gesehen haben. Zaritski hatte nicht lange gebraucht, um mich als Übeltäterin ausfindig zu machen.
Woodhouse sah mich immer noch an und wartete auf eine Antwort von mir. Laut Anweisung der Magpies sollte ich erst zu Phase II der Strategie Bestrafung-vermeiden-wenn-man-erwischt-wird übergehen– hysterisch heulen–, wenn es nichts fruchtete, einfach nichts zu sagen. Den bis an den Haaransatz hochgezogenen Brauen von Mr Woodhouse nach zu urteilen, sah es nicht so aus, als würde ich mit Phase I Erfolg haben. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich es nicht fertigbringen würde, einen hysterischen Anfall vorzutäuschen. Ich war einfach kein bisschen aufgewühlt. Obwohl ich noch vor ein paar Wochen garantiert Rotz und Wasser geheult hätte, wenn man mich zum Direx beordert hätte.
» Was beweist denn überhaupt, dass ich das war? « , fragte ich, als würde meine Mom aus meinem Mund sprechen. » Braucht man für so was nicht Beweise oder so? «
» Ich möchte dich etwas fragen, Amelia « , sagte Mr Woodhouse und betrachtete meine Umhängetasche. » Wenn ich in deiner Tasche nachsehe, werde ich darin Kabelbinder finden? «
Warum hatte ich die Dinger nicht weggeworfen? Ich hatte mir gesagt, ich könnte sie vielleicht noch für etwas anderes gebrauchen. Wie dämlich konnte man eigentlich sein? Mein Leben als Kriminelle würde enden, ehe es richtig angefangen hatte.
» Nein « , antwortete ich, drückte die Tasche fester an mich und fragte mich, was ich tun würde, wenn er tatsächlich versuchte, einen Blick hineinzuwerfen.
» Hör zu, Amelia, egal, was ich in diesem Fall für angemessen halte, Mr Zaritski wird die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen. « Woodhouse stützte das Kinn in die andere Hand. Er schien davon überzeugt zu sein, dass ich ihm alles erzählen würde, was er wissen wollte. Dass es nur eine Frage der Zeit war. » Wir müssen uns überlegen, wie du das wiedergutmachen kannst. Und der erste Schritt auf dem Weg dahin ist, dass du reinen Tisch machst. «
Phase III : Wirf dich in dein Schwert, übernimm die volle Verantwortung und akzeptiere die Strafe. Und sag kein Wort über die Magpies. Wenn wir es doch taten, würde das zu einem sofortigen Ausschluss aus dem Club führen, und das, so hatte man durchblicken lassen, würde nicht nur bedeuten, dass man nicht länger Mitglied war.
» Also gut, dann sage ich Mr Zaritski eben, dass es mir leidtut « , sagte ich.
» Das ist immerhin ein Anfang « , sagte Mr Woodhouse, als hätte er nicht mal mitbekommen, dass ich mich gerade schuldig bekannt hatte. » Aber das alles ist doch nicht auf deinem eigenen Mist gewachsen, Amelia. Ich weiß, dass dem nicht so ist. «
Die Richtung, die das Gespräch nahm, gefiel mir gar nicht.
» Ach? «
» Ja « , sagte Woodhouse. » Und ich verlange nicht von dir, dass du irgendjemanden verpfeifst. Ich verstehe, dass das unmöglich ist. Aber ich möchte, dass du darüber nachdenkst, ob die Mädchen, die dich dazu angestiftet haben, wirklich deine Freundinnen sind. Ob sie wirklich das Beste für dich wollen. «
» Mach ich « , erwiderte ich knapp. Ich wollte das Thema beenden, ehe ich noch aus Versehen bestätigte, dass es die Magpies gab. » Okay. «
Auf einmal schaute Woodhouse mich an, als wäre er mein Therapeut. Als stünde ich kurz vorm Durchdrehen. So ist
Weitere Kostenlose Bücher