Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
dem du glaubst, dass er es ist. «
» Und die SMS kam von meiner Nummer? «
» Die Nummer war unterdrückt. «
» Und trotzdem glaubst du, ich hätte dir das geschrieben? « Sie wirkte ehrlich gekränkt. » Na, vielen Dank auch. «
» Ich hatte zumindest gehofft, dass du es warst « , sagte ich, was tatsächlich stimmte, wie ich jetzt merkte.
Sylvia hatte mir die SMS nicht geschickt. Das war klar. Denn sie war eine verdammt schlechte Lügnerin. Wenn sie mich angelogen hätte, hätte ich das auf jeden Fall gemerkt. Vielleicht hatte Zadie mir ja die SMS geschickt oder eine andere von den Maggies. Es war kein Geheimnis, dass ich mit meiner Mutter allein lebte, aber dass ich meinen Vater noch nie gesehen hatte, wusste eigentlich niemand. Außer Sylvia.
» Was hat deine Mom denn dazu gesagt? «
» Wozu? «
» Na, zu den SMS ? « , sagte Sylvia und schaute mich an, als würde ich mich extra dumm stellen.
» Ich hab ihr nichts davon erzählt « , antwortete ich ein bisschen schuldbewusst.
» Und warum nicht? «
Natürlich hatte ich darüber nachgedacht, aber zuerst wollte ich rausfinden, von wem die SMS kamen. Falls Sylvia dahintersteckte, hätte meine Mom sich garantiert zu einem ernsten Gespräch mit Sylvias Mutter zusammengesetzt. Und wenn nicht, hätte meine Mom bestimmt in der Schule angerufen, um denen mitzuteilen, dass mich jemand belästigte. Dann hätte sie über kurz oder lang mit Woodhouse gesprochen, und dann wäre die ganze Sache mit den Maggies rausgekommen.
» Ich hab’s meiner Mom nicht erzählt, weil ich dachte, du hättest mir die SMS geschickt. «
» Ach ja, das hatte ich schon ganz vergessen. Nett. «
» Jedenfalls hab ich eben eine SMS von meiner Trainerin gekriegt « , sagte ich. » Ich hab meine Stollen auf dem Sportplatz liegen lassen. Ich muss hin und sie holen. «
Sylvia wirkte ein bisschen verletzt. » Aber du kommst doch wieder zurück, oder? «
Ich nahm mein Handy heraus, um nach der Uhrzeit zu sehen. » Wahrscheinlich nicht. Ich schreib morgen Bio. «
» Ach so, okay « , sagte Sylvia. » Aber kannst du mir wenigstens noch einen kurzen Rat geben, bevor du gehst? Was meinst du, ich rufe Ian am besten nicht zurück, oder? Ich warte einfach auf eine SMS von ihm, hm? «
Dylan wohnte in der Second Street in der Nähe des Parks in einem Backsteinhaus, das unserem sehr ähnlich sah, nur dass es mit hellen Ziegelsteinen verkleidet war, und vor dem Haus stand eine kleine, irgendwie unheimliche Skulptur in Form eines Baums, mit Händen anstatt Ästen. Ich stand vor den Eingangsstufen und betrachtete die Skulptur, als die Tür aufgerissen wurde. In der Tür stand Dylan, barfuß, in einem weiten Kleid und mit mehreren Ketten um den Hals. Sie hatte eine Zigarette in der Hand, was komisch aussah. Als handelte es sich bei der Kippe um ein Bühnenrequisit.
» Komm rein « , sagte sie und winkte mich ins Haus. » Du gehörst zu den Ehrengästen. «
Als ich oben ankam, drückte sie ihre Zigarette auf der Türschwelle aus, hakte sich bei mir unter und führte mich hinein. Das Wohnzimmer war gerammelt voll mit Möbeln, Nippes und Leuten– Jungs und Mädchen, die auf Sofas und Sesseln und auf dem Fußboden lagen. Und es war voller Qualm. Es wurde geraucht und gekifft, und die meisten hatten ein Bier in der Hand. Anscheinend war ich stehen geblieben, denn Dylan zog an meinem Ärmel und bugsierte mich in Richtung Küche.
» Bist etwa noch nie auf ’ner Party gewesen? « , fragte sie lachend, machte den Kühlschrank auf und nahm eine Flasche Brooklyn Lager heraus.
Ich war schon auf allen möglichen Partys gewesen– Pyjamapartys, Filmpartys, Geburtstagspartys, sogar auf gemischten Partys. Aber das war Neuland.
Dylan öffnete die Flasche und gab sie mir, als würde sie mir einen Kaugummi geben. Ich nahm sie. So muss es jedenfalls gewesen sein, denn auf einmal stand ich da mit der Flasche in der Hand. Sie fühlte sich kühl und glitschig an und schwerer, als ich erwartet hatte. Ich hielt sie ganz fest, damit sie mir nicht aus der Hand fiel. Ich hatte an Weihnachten schon mal Wein getrunken, und Sylvia und ich hatten uns mal einen Schluck von dem ekelhaften Whisky ihres Vaters stibitzt. Aber ich hatte noch nie Bier getrunken, erst recht keine ganze Flasche auf einer Party mit lauter coolen Kids. Ich starrte immer noch die Flasche an, als Zadie plötzlich in die Küche gestürmt kam. Sie schien bereits betrunken zu sein, oder vielleicht war sie auch nur noch geladener als sonst.
» Ach du
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