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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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hatte wie ein Maulwurf. Denn bei Tage war er unansehnlich. Das war der einzige Grund, warum seine Frau und seine Töchter ihn verabscheut hatten, das alleine.
    Niemand konnte ihm etwas anderes erzählen, er hatte sich schon gewundert, warum seine Frau ihn überhaupt geheiratet hatte. Wegen dem Geld bestimmt, sie hatte ihn geheiratet, um sich ihr Leben lang über ihn zu beschweren, ihr Leben war ein einziges russisches Klagelied gewesen. Immerhin hatten sie zwei Töchter gezeugt, im Dunkeln, so wie er die Dunkelheit liebte, in der ihn niemand sah. In der Dunkelheit war er Spezialist geworden, er konnte die Dunkelheit stützen, dafür sorgen, dass sie niemanden begrub, sie ausbauen, immer neue Wege in die Erde finden, die Erde urbar machen, graben, graben, tiefer graben durch Berge und in die größten Tiefen.
    Das Stanowoj-Hochland, sein liebstes, sein mächtigstes Gebirge, so hoch, dass die Gipfel voll Gletscher waren, und so kalt, dass bei minus 60 Grad keine Maschinen mehr arbeiteten, im Sommer aber so warm, dass der Boden vom Tau zerfloss. Doch trotz der sinkenden Taiga, der Erdbeben und der ansteigenden Flüsse im Osten hatten sie es geschafft: Durch acht Tunnel und über 142 Brücken über die Sümpfe fuhr am 27. Oktober 1984 nach zehn Jahren Bau zum ersten Mal die Baikal-Amur-Magistrale von Ust-Kut nach Komsomolsk durch Sibirien.
    Als die Juden von Russland nach Israel gingen, von Israel nach Österreich, von Österreich nach Deutschland, da war er mitgegangen. Sie hatten ihn sofort eingestellt, darauf war er sehr stolz. Er hatte nur seine Arbeiten vorlegen müssen, seine Pläne, die Fotos, das war schon alles. Obwohl er noch kein Deutsch konnte. Aber der Kasseler Tunnel war nichts gewesen gegen das Stanowoj-Hochland. Einfach gar nichts. Wenn man in der Taiga gelernt hatte, was war da schon Kassel-Wilhelmshöhe?
    Nun schien sich ein Tunnel durch seinen Kopf zu bohren, ein Tumor, so nannten sie das, Tumor wie Tunnel, etwas schien seinen Kopf zu teilen und Licht hineinzulassen und in dem Licht geschahen seltsame Dinge. Wieso blieben die Möbel nicht stehen? Wieso ruckte alles um ihn her? Sobald er sich umdrehte und in dieses Zimmer hineinsah, begann der Tisch zu laufen, der Stuhl sich zu drehen, nichts blieb an seinem Platz, darum wagte er es nicht, sich umzudrehen, und schaute in die dunkle Ritze im Sofa. Von ihm aus konnte es immer dunkel sein. Aber er bekam keine Ruhe. Keine Ruhe. Es klopfte. Klopfte fest an seine Tür. Dann wurde die Tür aufgerissen und ein Paar weiße Gummischuhe näherten sich quietschend seinem Bett.
    Jewgeni Schiwrin! – Warum du liegst iemer auf dem Sofa!
    Es war Nadjeschda. Schiwrin kicherte.
    Tag und Nacht du liegst auf dem Sofa! Warum du stehst nicht auf!
    Oichee, sagte Schiwrin. – Ich liege gerne hier. Ich muss ruhen. Ich bin alt.
    Aber du musst bewegen! Wenn du liegst, kriegst nur dumme Gedanke. Ich habe dein Frau angerufe!
    Oichee! Nun drehte Schiwrin sich um und sah verängstigt zu Nadjeschda auf.
    Sie stand vor ihm, unerbittlich. Die Arme verschränkt vor dem kräftigen Körper. Das dunkle, kurze Haar verschwitzt, feine Perlen überall, auf der Stirn, in der Halskuhle, auf der Oberlippe. Dann tupfte sie sich die Stirn mit einem Zellstofftuch.
    Du sollst nicht das machen, sagte Schiwrin.
    Muss!, sagte Nadjeschda. MUSS!
    Schiwrin lachte wieder. – Was hat gesagt?
    Hat gesagt – kommt nicht. Aber Tochter kommt.
    Welche?
    Valerija. Kommt an Dienstag. Du musst aufstehen, ich will dich waschen.
    Nein, sagte Schiwrin. Muss nicht waschen.
    Doch! Kann nicht mehr warten! Du wäschst dir nicht, du bist krank, du sitzt ganze Tag auf die Toilette oder liegst auf Sofa. MUSS pflege lasse!
    Aber Schiwrin wollte nicht. Wollte nicht, dass ihn jemand nackt sah. Er konnte sich selbst waschen, er war erst 58 Jahre alt. Was sollte das, diese Pfleger waren immer hinter ihm her, das mochte er nicht. Aber wie sich gegen Nadjeschda wehren, wie? Sie duldete keinen Widerspruch. Und seine Tochter hatte sie auch noch herbeigeschafft. Valerija. Das war die schöne Tochter. Schneewittchengleich. Du gutmütige Tochter. Sie würde ihn besuchen, er regte sich auf und sein Herz schlug plump unter den dürren Rippen. Er durfte nicht so armselig hier liegen, er hatte keine Unterhemden, keinen Turnanzug, keine Socken, nichts mehr. Fragend sah er Najdeschda an. Niemand durfte erfahren, dass vor seinen Augen die Möbel hin und her liefen. Das war nicht richtig, das war nicht normal und es ängstigte ihn.
    Hast du

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