Die letzten Dinge - Roman
taten die Beine weh. Gianna rieb sich den schmerzenden Knöchel, dabei hatte sie noch gar nicht angefangen mit der Arbeit.
So, ich bin mal beim Hausmeister gewesen, sagte Rosalinde. Gebracht hat es überhaupt nichts. Vielleicht guckt er mal nach den Rollstühlen, na ja, schau’n wir mal.
Die lassen hier alles verkommen, sagte Kevin. Hier sieht’s bald aus wie in der DDR.
Wenn die bloß nicht ganz zumachen.
Was sagt denn eigentlich die Heimleitung?
Na ja, der Chef, Rosalinde winkte ab. Der hat eben kein Geld.
Dann kann ich doch so ein Ding nicht aufziehen, wenn dauernd kein Geld da ist.
Er sagt, es liegt an dem Krankheitsstand. Wir haben manchmal einen Krankheitsstand von 30 Prozent. Wo gibt es denn das in der freien Wirtschaft? Der Chef ist eigentlich gutmütig, er hat für jeden Kranken eine Aushilfe eingestellt, und das hat uns in die Miesen gefahren.
Aber warum wir sinde krank?, ereiferte sich Gianna. Arbeit iste zu schwer!
Rucken schon geplatzt, sagte Nadjeschda.
Aber die Sarah ist garantiert nicht krank. Guck mal, wie lange die schon fehlt, acht Wochen. Die ist doch noch jung. Der Ivy fehlt oft, weil er zu viel feiert. Gianna und Nadjeschda, na ja. Der Kevin ist oft krank, weil er zu viel raucht und Kaffee trinkt und keine Vitamine isst.
Ist doch ’n Knochenjob hier.
Man müsste der Sarah mal ’ne Falle stellen. Der mal auflauern. Und sie dann feuern.
Nadjeschda setzte sich auf und zückte ihr kleines Buch.
So, jetzt Übergabe. Was passiert?
Ja, sagte Rosalinde. Besonderes Augenmerk auf Schiwrin. Dem geht es wirklich miserabel. Die Ärztin war heute Morgen da, aber sie sagt, man kann nichts mehr für ihn tun. Er soll hier bleiben und wir sollen ihn versorgen, so gut es geht. Sehr pflegeintensiv. Also: alle Stunde rein.
Uijuij, sagte Nadjeschda. Armer Schiwrin. Hoffentlich kommt nicht Frau heute.
Ja, ach so: Heute Nachmittag zieht eine Neue ein, sie heißt Klara Eisbrenner, sehr, sehr nett, gepflegt, eine nette ältere Dame, hat ein sehr altes Antiquitätengeschäft am Dom. Sie geht natürlich in das Zimmer von Frau Wissmar.
Gianna sprang erschrocken auf.
Das gehte nichte! Kann nichte in Zimmer von Frau Wissmar gehe!
Kevin holte die volle Kanne Kaffee aus der Küche und goß jedem ein.
Ich nix!, sagte Nadjeschda und hielt die Tasse zu.
Wieso soll Frau Eisbrenner nicht da einziehen? Soll das Zimmer denn leer bleiben oder was?, fragte Rosalinde.
Aber Frau Wissmar iste eben gestorbe und atte acht Jahre in Zimmer gewohnte, das zu schnell!!
Ach Gianna, sagte Ivy. Was du immer hast.
Wenn jetzt soforte de Frau einzieht, dann der Geist von Frau Wissmar sehr böse, sie will neue Frau vertreibe und dann stirbt sofort!
Ivy lachte schallend.
Oh Gianna, du und dein Aberglaube!
Nein, das iste Wahrheit, weißt du! Abb ich zwanzig Jahre in Heim gearbeit, iemer wenn eine alte Mensch at lange Zeit Zimmer geabt und eine neue kommt: stirbte ganz schnell!
Die Gianna sieht überall Gespenster, sagte Kevin.
Aber in Platz, wo viel gestorben, giebt iemer Gespenster, sagte Nadjeschda.
Ja, sagte Rosalinde. Es gibt so viele Geschichten. Ich weiß noch, wie damals bei dem Rotwasser den ganzen Tag die Klingel ging. Der lag als Leichnam noch im Zimmer -und hat den ganzen Tag geschellt.
Die Lotta hat ja ein Gespenst in der Kleiderkammer gesehen, sagte Ivy.
Ast du gesehe? Ast du gesehe?
Wie elektrisiert nahm Gianna Lottas Hände und schüttelte sie.
Wie gut, du ast gesehe! Morgen ich geh mit meine Tante und mit Padre Ludolfus in Dachbode und wir wolle es verjage! Vielleichte klappte!
Rosalinde schüttelte den Kopf.
Diese alte Geschichte. Lasst es doch einfach in Ruhe. Es lebt schon lange in der Kammer und es tut ja keinem was.
Glaubst du etwa auch an Gespenster?, fragte Kevin.
Ich habe noch kein Heim gesehen, wo keines war, das ist einfach normal.
Ivy stöhnte. Eijeijeih. Ich bin unter lauter Senilen und Bekloppten.
Ich komme mit!, rief Lotta. – Also wenn ihr hochgeht!
Oh, wie gut! Dann du elfe bete, wir mehr Kraft.
Uhiujuu, stöhnte Nadjeschda. – Kommt, Übergabe. Hier wir habe genug Gespenst, liegt alle bei uns auf Station und atmet. So: noch mal: Wann kommt neue Frau?
Gegen 15.00 Uhr.
Darf nicht in Zimmer von Frau Wissmar, sonst stirbte sofort!
Gianna schlug mit der Faust auf den Tisch.
Aber niemand, niemand wollte ihr glauben und mit diesem Unglauben riskierten sie alle ungeniert das unschuldige Leben der feinen alten Dame Klara Eisbrenner.
Lotta berührte noch einmal ihren Nacken,
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg