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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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ihm noch blieb, war es, die Gegenwart Nadjeschdas zu spüren, die der sibirischen Pflanze, die immer eine Hand auf seine Schulter legte. Wenn sie sich über ihn beugte, spürte er vage ihre Wärme, nahm aus halb geschlossenen Augen ihre Umrisse wahr und merkte den Trost, der aus der aufgelegten Hand in ihn überging. Wie gut, dass sie da war, wie gut, Schwester Nadjeschda.
    Oichee, flüsterte Schiwrin. Oichee.
    Noch mal Rucken, sagte Nadjeschda.
    Versuchte, ihn noch einmal zu drehen, um ihn fertig zu waschen, legte ihn mit behutsamer Kraft auf die Seite und mit diesem sanften Schub gegen sein Schulterblatt stöhnte er noch einmal auf, er seufzte, ein letztes Mal: Oichee.
    Und während Nadjeschda den warmen, weichen Waschlappen nahm und ihm sanft und gründlich und wärmend den Rücken wusch, schloss Jewgeni Schiwrin endgültig die Augen und fuhr langsam, erlöst, schmerzfrei und selig in den dunkelsten Tunnel der Welt.

Frau Schlecker   trudelte kreuz und quer mit ihrem Rollstuhl über den Flur, bis sie eine offene Türe fand. Sie rollte hinein, sah eine Dame im Bett liegen und eine Tüte voller leckerer Plätzchen. Frau Schlecker öffnete die Tüte, aß alles auf, dann drehte sie sich wieder um und fuhr davon. Eine Weile schob sie und schob, fuhr zickzack und sagte zu jedem, der vorüberging:
    Fahr mich mal ein bisschen.
    Frau Bellheim schob sie ein wenig an, Gianna fuhr sie drei Meter hin und her, dann trudelte Frau Schlecker wieder selber davon und sie schob ihre Räder emsig weiter, bis sie an die nächste Türe kam, probierte und die war offen. Frau Schlecker fuhr hinein und fand ein leeres Zimmer und sah auf einem Tisch eine Schale Pralinen. Sie öffnete die Pralinenschachtel und aß alle Pralinen auf. Dann verließ sie das Zimmer wieder.
    Fahr mich mal ein bisschen!, herrschte sie Nadjeschda an, die vorübereilte.
    Keine Zeit, Frau Schlecker! Komm ich später!
    So fuhr Frau Schlecker weiter und weiter, bis sie wieder eine offene Tür gefunden hatte und sie rollte hinein und fand in einem Sessel eine hübsche Puppe mit einem gestrickten Röckchen in ihren Volants sitzen.
    Die ist aber fein, krähte Frau Schlecker, nahm die Puppe und setzte sie auf ihren Schoß, streichelte sie ein wenig und fuhr dann mit ihr auf den Flur.
    Fahr mich mal ein bisschen, sagte sie zu Alwis, der krumm mit dem Gehwagen vorüberwackelte.
    Deddeddeddei.
    Fahr mich mal ein bisschen!, sagte sie wütend zu dem Sotzbacher Mädchen, das mit dem Krückstock vorüberwackelte.
    Ich denk ja nicht dran, sagte das Sotzbacher Mädchen und schritt erhobenen Hauptes davon.
    Mir ist schlecht, sagte Frau Schlecker. Sie packte die Reifen ihres Rollstuhles und fuhr in das nächstbeste Zimmer hinein.
    Das ist mein Zimmer!!, schrie eine Dame im weißen Haar. Raus!! Raus mit Ihnen!
    Det is MEIN Zimmer. Hauen Sie doch ab!, schrie Frau Schlecker. Blöde Kuh!
    Was fällt Ihnen ein! Raus, oder ich hole die Schwester!!
    Frau Schlecker drehte sich in aller Ruhe und verließ vorsichtshalber doch das Zimmer, jedoch nicht ohne sich das Stück Marzipan, das auf dem Tisch lag, mitzunehmen und sofort aufzuessen.
    Mir ist schlecht. Ich kann nicht mehr fahren.
    Doch sobald Frau Schlecker wieder ein offenes Zimmer gefunden hatte, fuhr sie hinein und sah sich um. Es war das Zimmer der Frau Norken, die man in den Fernsehsessel gesetzt und hübsch in ein Kleid gehüllt und mit dicken Kniestrümpfen versehen hatte und ihre Wangen so eingecremt, dass sie glänzten. Ah, endlich ein Bett. Frau Schlecker warf die Puppe auf den Boden, hangelte sich aus dem Stuhl hoch, wurstelte sich in das Bett und deckte sich zu.
    Mir ist schlecht, sagte sie. Dann schloss sie die Augen und schlief ein.

»Mein Sohn, oh mein Herr  , wann wirst du wiederkommen auf einem hellen Weg? Vielleicht warte ich darauf, bis an mein eigenes Grab, vielleicht werde ich es noch erleben. Dann werde ich deinen Weg mit weißem Leinen bedecken, damit deine Füße nicht von Dornen gestochen werden, wenn du nur wieder aufstehst, werde ich deinen Weg voller Blumen streuen und deine jungen Tage umkränzen.
    Oh, könnte ich nur an deiner Stelle gehen, oh Gott, warum hast du ihn und nicht mich zu dir gerufen?
    Es wäre besser, die Krankheit wäre an die trockenen Bäume gegangen, hätte besser die Äste an den Bäumen gebrochen, als dich, mein Väterchen. Hätte ich noch einen Vater, so hätte ich keine Angst mehr, weder vor der dunklen Nacht, noch vor dem wilden Wald.
    Oh Väterchen, oh Pflüger mein, warum hast du

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