Die letzten Dinge - Roman
voll Schaum, pfui Teufel, wie schmeckte das, er schüttelte sich, wie ekelhaft, ach wie gut wäre jetzt Pleskavicka – statt diesem abscheulichen Seifenschaum.
Der Morgen dämmerte durch das Fenster über den Dächern von Paris. Lotta hatte längst nicht ausgeschlafen, in dem Bett, in dem womöglich schon einer gestorben war. Sie hatte zu lange in den Mond gesehen. Noch immer schimmerten die Nachtlichter durch das Giebelfenster hinein, aber schon ging im Osten die Sonne auf, sie schob sich hinauf, um den Mond über den Himmel zu treiben und ihn am Ende im Westen zu versenken. Das spielten sie jeden Morgen, die Sonne gewann immer, doch am Abend, da gewann der Mond.
Lotta reckte sich schlaftrunken, torkelte zu ihrer kleinen Kasserolle und ließ Wasser hineinlaufen. Eine Kochplatte hatte sie noch von ihrem Bruder. War natürlich ein Nachteil, keine Küche zu haben. Aber Lotta war nie eine große Köchin gewesen. Diese Kochplatte, die reichte für eine Weile, man konnte ja auch hintereinander etwas kochen, erst das Kartoffelpüree, dann die Soße, das ging, ging alles. Jetzt brauchte sie vor allem einen Kaffee, Kaffee vom Aldi, Wiener Melange. Das war das Beste, was ein Morgen zu bieten hatte. Sie brauchte einen Fernseher, dringend. Sie brauchte eine Gardine, dringend. Wer wollte immer die ganze Stadt im Zimmer haben? So sehr Lotta den Ausblick liebte, so sehr gruselte es sie manchmal, wenn sie am Abend in die fremden Häuser sah, über die fremden Dächer, das viele Neonlicht, da fühlte sie sich einsam. Es wurde Zeit, dass etwas passierte, sie brauchte entweder einen Fernseher oder eine Gardine oder einen Menschen um sich herum, der ihr die Zeit vertrieb. Heute würde sie zu ihrem Bruder gehen, der hatte Kumpels, die waren ganz nett. Und vielleicht war auch ihre alte Freundin Mia wieder in die Stadt, sie wollte mal vorbeikommen, hatte sie gesagt. Mia verheiratet in Gummersbach, Gummersbach, lächerlich.
Lotta putzte im Halbdunkel die Zähne. Sie konnte nicht so viel Licht vertragen, am Morgen. Immerhin, die Wiener Melange, sie duftete so süß, ein Trost, ein Aufbau, ein schlechtes Instantgetränk, egal. In diesem Heim relativierten sich die Dinge. Was eben noch verächtlich war, erschien im anderen Licht noch mal brauchbar, bekam nochmal Wert, eine Kochplatte, eine Tasse warmer Kaffee, das war doch eigentlich alles wunderbar. Lotta knöpfte den Kittel zu, versöhnte sich mit dem Tag, es war gut, einen Kittel anzuziehen und zu wissen, was man zu tun hatte. Sie freute sich auf Rosalinde, sie freute sich auf Gianna und auch heimlich ein wenig auf Ivy. Eigentlich war alles gut in ihrem Leben, mal sehen, was es heute gab.
Was es heute gab . Heillose Aufregung. Lotta stolperte über dreizehn rosarote Küchenfrauen und Raumpflegerinnen, die auf den untersten Treppen vor dem Speicher wie dicke Vögel zusammenhockten, jede mit einer dicken Kaffeetasse in der Hand, und sie rauchten ohne Ende.
Tschuldigung, sagte Lotta. Tschuldigung, und trat auf Schürzenbändel und Kittelsäume. – Geht schon, wer ist das denn? Die Stationshilfe von der Drei. Ach so. Mojn, moin. Die wohnt hier, ach was. Guten Morgen.
Lotta war schon eine Minute zu spät und beeilte sich, auf die Station zu kommen, morgens um sieben im Schwesternzimmer ein Schwätzchen, das war doch schön. Aber nix Schwätzchen. Die Pflegewagen rasselten und rasten über die Flure, Moltexwindeln flatterten einem entgegen, Ölfläschlein wackelten und Handtücher fielen vom Stapel. Grün leuchteten die Lämpchen über den Zimmern und deddeddedei, der Alwis schob bereits unrasiert und missmutig seinen Gehwagen über den Flur.
Was ist denn hier los?
Ach der Ivy, schimpfte Rosalinde und gab dem Pflegewagen einen ordentlichen Stoß. Ist nicht gekommen! Der WEISS doch, wie es hier aussieht. Verdammt noch mal, ausgerechnet! Wo heute Pflegevisite ist und die Rollstühle repariert werden müssen und immer noch keiner gewogen ist für den Monat, der sollte heute unbedingt noch drei Leute duschen! Der treibt es so weit, dass ich …
Lotta hatte keine Ahnung, wohin es Ivy trieb, doch sie spürte den sanften Impuls, ihn zu verteidigen.
Ach, der ist bestimmt nur zu spät. Jeder sagt, es ist schwierig, vom Spätdienst in den Frühdienst zu wechseln.
Heute nur Notprogramm, sagte Gianna. – Keine Rasiere, kein Dusche, Frau Norken, Frau Wilhelm, Herr Bellmann müsse Bett bleibe.
Der ist nicht zu spät, sagte Rosalinde. Der kommt überhaupt nicht! Der sitzt irgendwo in der
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