Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
vergessen. Er sah schrecklich aus und er wusste es und er musste ihr sein hässliches Gesicht entgegenhalten, er hatte keine Wahl, und so öffnete er den Mund und duldete es, dass sie ihm die Schaufel voll Brei hineinschob, er kaute, er würgte, er schluckte und öffnete wieder den Mund. Valerija aber, schnaubend, zähneknirschend, gnadenlos, schaufelte den Löffel wieder hochvoll, und dann stopfte sie den Griesbrei hadernd und zaudernd, grausam und ungeduldig, Löffel für Löffel für Löffel in seinen Schlund.

Ivy betrachtete sein Bein  . Sein langes, haariges Bein. Ob er es rasieren sollte, wie die Jungens vom Schönheitskult? Es gab in der Szene die Bären mit Bart und ordentlich Brusthaar in der Lederweste. Und es gab die Glattrasierten, die ihren Körper zum vollkommenen Ideal stilisierten. Er hatte schon die Brust rasiert, glatte Haut zu haben gefiel ihm, Haut, die schimmerte, Haut, die sich schön braun färbte und mit Kokosöl golden aufleuchtete, er liebte schöne, glänzende Haut. Besonders bei Fredderik. Oder? Gestern hatte er sie noch geliebt.
    Ivy stieg in die Badewanne und der Schaum bedeckte seine Beine und ließ nur die Knie frei, Ivy sank aufseufzend zurück. Genoss das heiße, nach Kastanien duftende Bad und das lichtgrüne Wasser, das seine Muskeln wohlig entspannte. Jetzt noch eine Portion Plescavicka im sudelig braunen Steinguttopf. Pleskavicka und Papazjanija, Hackfleisch und Zwiebeln, Zwiebeln und Hackfleisch und Lamm im Tontopf. Seine Mutter würde ihm zwanzig Tontöpfe voll kochen, wenn er sie nur einmal besuchte, heute oder morgen oder an irgendeinem Abend.
    Wieso kommst du so selten? Ach Ivy! Komm mit uns zurück nach Herzegowina. Ach, komm doch mit. Es ist wieder so friedlich da unten, so schön. Da haben unsere Väter gelebt und deren Väter und deren Väter. Ach Ivy, komm heim mit uns, du verlierst deine Sprache, du verlierst deine Heimat, du vergisst, wo du herkommst. Hilf uns, das Haus wieder aufzubauen, hilf uns, das Geld zu verjubeln, das wir hier verdient haben, hilf uns, nach Hause zu gehen, ach Ivy!
    Ivy sank noch tiefer in den Schaum. Wo waren in Herzegowina all die Fredderiks dieser Welt? Wo war da jemand, der seine Erfahrungen teilte, seine Gedanken, seine Gefühle, so wie hier, wo er alles sein konnte, was er liebte, Mann, Frau, Geliebter, Geliebte, Tanz, Tänzer, Tänzerin.
    Ivy schüttelte den Kopf. Ich gehe nicht heim, ich gehe nicht heim, ausgeschlossen. Ich helfe beim Hausbau, einen Sommer lang. Nächsten Sommer vielleicht. Aber dann bin ich zurück. Hier stehen meine Chancen gut und Fredderik?
    Plötzlich wurde ihm unbehaglich. Sein Körper hatte sich beruhigt, die kleinen Pusteln um den Mund und an der Schläfe waren verblasst, gottlob, das Herz schlug endlich langsamer. Der Fredderik. Fredderik, sein Beelzebub. Wie hatte er ihn gestern noch geliebt. Sein nächtlicher Schwan, sein nächtliches Schwein, sein Prügelprinz. Er starrte in den Schaum und bohrte Löcher in die Bläschen. Wieder stieg in ihm die Sorge auf. Die Sorge, er könnte diese Nacht woanders hingehen. Denn Fredderik war immer hungrig. Auch nach dieser Nacht noch, hungrig nach dem Rest der Welt. Fredderik war niemals satt, auch wenn Ivy sich noch so viel Mühe gab, wenn er noch so viel rannte und seinen Körper ölte und ihn umarmte, dass seine Lungen zu bersten schienen, die Sinnenglut war nie zu stillen. Plötzlich fühlte Ivy sich trostlos. Das Wasser war nicht heiß genug, er drehte noch mal auf und der Strahl rauschte breit in den Seifenschaum hinein und drehte ihn in einen Strudel. Das Wasser lief und lief. Ivy war müde. Er wollte schlafen. Aber die Traurigkeit um seinen Prinzen. Wenn er, Ivy, nur eine Nacht lang schlief, würde Fredderik ihm entgleiten, würde tun, was er nicht tun sollte, Ivy hatte es ihm verboten, versucht, zu verbieten, aber das Gebot hatte keine Kraft, es galt nicht, nicht für Fredderik. Fredderik suchte nur immer neue, frische Lippen, um ihnen seinen losen Mund aufzupressen, so tat er das, so war er, der Fredderik. Schlafen, dachte Ivy, nur schlafen. Pleskavicka und schlafen. Es schmerzte ihn, dass er nicht vertrauen konnte. Hätte er vertrauen können, hätte er Fredderik nicht gesucht. Sollte er ihn noch einmal suchen müssen? Er ging zuschanden an Fredderik, zuschanden an dessen suchendem Schandmaul, der liederliche Kerl, der Hurenbock männlicher Tussen, er taugte nichts. Verdorben, verdorben. Ivy stöhnte und gähnte und grämte sich, versank und kriegte den Mund

Weitere Kostenlose Bücher