Die letzten Dinge - Roman
Blumen … war sie eine schöne Braut gewesen, er hatte sie nie verdient.
Uljana … flüsterte er. – Was machst du hier?
Er traute seinen Augen nicht. Jeden Tag, jede Nacht sah er Dinge, Dinge, die sich veränderten und die nicht hierher gehörten. Er wollte lieber abwarten, wie dieses seltsame Spiel weiterging, er traute nur Nadjeschda, die ihn wusch und schimpfte, auf Russisch und auf Deutsch. Uljana aber legte jetzt die Hand auf Nadjeschdas Arm und fragte wieder: wirklich? Wirklich?? Er hat nach mir gefragt?
Und die Knie wurden ihr butterweich und ihre Augen waren jetzt riesengroß und wanderten wieder zu dem entsetzlich abgemagerten, eingefallenen Kerl mit den roten Haaren, der ja ihr Mann gewesen war, ihr Ehemann, sie war eine einstmals ehrbare Frau gewesen in ordentlichen Verhältnissen und ihr Mann hatte gutes Geld verdient, weil er ein Ingenieur war. Dem Mann ging es schlecht.
Ich danke Ihnen, oh ich danke Ihnen, Schwester, wie gut, dass Sie sich um ihn gekümmert haben, warten Sie …
Uljana kramte in ihrer Handtasche und wühlte nach dem Geldbeutel und suchte fünf Euro. – Hier … hier für Ihre Kaffeekasse, trinken Sie was Gutes … und haben Sie vielen Dank.
Und als Nadjeschda gegangen war, ging sie näher an ihn heran und klopfte ihn mit der Hand auf seinen Unterarm.
Jewgeni, du blöder Hund, was machst du nur, warum bist du hier?
Ich büße, sagte Jewgeni, ich büße für alles, was ich verbrochen habe …
Und er lachte leise in sich hinein. Sie hatte vergessen, was für eine dunkle, schöne Stimme er hatte, wie er immer leise lachte und den leichten, jiddischen Spott auf alle verteilte. Ach Jewgeni Schiwrin, sie hatte ihm Tod und Teufel an den Hals gewünscht, aber dass Gott sie auf diese Weise erhört hatte, das hatte sie nicht gewollt. Ein schwerer Reif um ihre Brust zersprang.
Ach Schiwrin, du alter Esel …
Uljana Schiwrin kamen die Tränen und sie putzte sie am Ärmel ab, – hier, ich habe dir was mitgebracht – sie holte den Henkeltopf heraus und öffnete den breiten Deckel – oh Jewgeni, oh mein Mann, sieh, was ich habe, sieh nur, Pilmeni, damit du etwas Ordentliches hast.
Oijojioy … Pilmeni … ist das wahr? Oh, wie duftet das, oh, ich weiß nicht, ob ich essen kann …
Du musst Jewgeni, du musst, du siehst krank aus und schlecht.
Jewgeni legte den Kopf auf seine zusammengelegten Hände.
Wo bist du gewesen? Uljana. Ist es dir gut ergangen?
Oh Jewgeni, das fragst du, das fragst du erst jetzt! No, wie ist es mir ergangen, wie nur! Ach Jewgeni, was haben wir nur angefangen!
Und Tränen brachen aus ihr heraus und Schiwrin sah sie nur immer wieder an. War es echt, was er sah? War es wirklich seine Frau, die da sprach? Aus ihrer Gestalt stieg Rauch auf, bunte Schwaden legten sich um ihre Gestalt, Schiwrin erinnerte sich an ihre Gestalt, auch wenn sie immer nur im Dunkeln einander beigewohnt hatten, so hatte er doch seine Freude daran. Ihre Kinder hatte nicht der Storch gebracht, der war es nicht gewesen. Vor allem aber hatte Uljana niemals geweint. Wieso weinte sie jetzt? Es war bestimmt nur ein Traum, die Lampe über ihr wackelte hin und her, das Fenster begann zu verlaufen. Schiwrin mochte Uljana gar nicht mehr. Aber so, wie sie hier stand, krampfhaft, mit einem Henkelmann in beiden Händen, da war die Gegenwart mit einem Mal tröstlich. Sollte sie von ihm aus da stehen bleiben, er konnte es doch nicht ändern. Etwas von vergangener Zuneigung kroch in ihm empor. Aus irgendwelchen Windungen.
Großmütterchen, sagte er und lachte leise. – Du bist ein Großmütterchen!
Ja … heulte Uljana los und die ganze Härte ihres vergangenen Lebens floss aus ihr heraus, machte das Zimmer zu einer übergroßen Pfütze. Da lag er, der Unhold ihres Lebens, und war doch nur ein armer Mann, ein armer, armer Mann mit Krankheiten und Grind auf dem Kopf, so ist es ihm geschehen, dem großen, großen Tunnelbauer der Baikal-Amur-Magistrale für die Transsibirische Eisenbahn.
Das älteste Sotzbacher Mädchen ärgerte sich. Sie konnte ihren Ärger nicht lange behalten, ebenso wie die Freude. Sie konnte etwa fünf Türen lang ihre Gedanken behalten, während sie über den Gang wackelte. Es war gut, dass sich die Freude und der Ärger nicht lange hielten. Aber manchmal wusste sie nicht mehr, wo ihr Zimmer war.
Ich hatte einen herzensguten Mann!, sagte das Sotzbacher Mädchen zu Alwis. – Wie hieß der noch mal?
Deddeddei, sagte Alwis.
So nicht, sagte das Sotzbacher Mädchen. –
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