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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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noch bedanken. Du warst ziemlich klasse, vorgestern. Ich dachte, ich lade dich mal zu ’nem Bier ein, oder so. Ich habe jetzt wieder mehr Zeit. Also nur, wenn du Bock hast.
    Ja … natürlich. Klar, können wir machen. Morgen oder so.
    Sag mal, fragte Lotta, … der Kurtacker. Kann man denn nix mit dem machen? Ihm irgendwie helfen?
    Dem Kurtacker kann man schon helfen, sagte Ivy. Habe ich mir auch überlegt.
    Also, ich weiß nicht, was willst du denn da machen?
    Das erzähl ich dir dann. Ich muss jetzt die Oldies zum Gedächtnistraining bringen.
    Ja. Ja dann. Ja dann irgendwann mal, oder?
    Morgen?, fragte Ivy. – Morgen ist doch gut.
    Von mir aus, sagte Lotta und war mit einem Mal so furchtbar aufgeregt.
    Ivy hatte sie eingeladen! Dabei konnte bei der Einladung sowieso nichts bei rauskommen, er war doch schwul. Und wie er da herumlief:
    Mit einem NETZ-T-Shirt im Altersheim! Mit ärmelfreien Schultern und weißer Adidashose und einem Hintern, darauf konnte man Nüsse knacken. Ivy war noch angeschlagen, die Augen noch immer rot entzündet, die Wangen bleich, und sein Namensschild hing schief. Er litt. Aber er litt in brandneuen Klamotten von Adidas und Dockers in Schönheit und Vollendung.
    Jetzt nahm er lässig den Rollstuhl von Frau Schlecker und zog ihn heran und kraulte ihr das Genick. – Na, Süße, wollen wir mal. Den Gehirnkasten da oben ein wenig aufpolieren. Sonst rostet der ein.
    Ach du oller Flegel, krähte Frau Schlecker. – Ick werde euch alle anzeigen. Bei der Stadt beim Oberbürgermeister. Jawoll.
    Ivy lachte herzlich, schüttelte sie sanft im Genick, und rollte ihren Stuhl mit großen Schlangenlinien über den Flur.

Aber was machst du!   , rief Schwester Nadjeschda wütend.
    Liegst du schon wiieder auf Sofa! Ich habe gesagt: Bleibe in Bett! Ich kann nicht immer bucken bei Pflege! Kann nicht Waschschüssel auf Boden stellen und rumrutschen! Jewgeni Schiwrin! Ich sage letzte Mal! Nächste Mal ich werfe ganze Sofa aus die Fenster!
    Oichee, sagte Jewgeni und fühlte sich auf dem Sofa doch so wohl. Hier konnte er seine Nase bequem in die Ritzen stecken und vor sich hindämmern, ab und zu von Bildern unterbrochen, die aus seinem Leben aufflackerten, Bilder vom Versteckenspielen hinter den Hütten, am liebsten spielte er »Tarnung«. Man zog sich etwas über und war unsichtbar. Wenn er hier so lag, seinen Bauch festhielt und der Welt den Rücken zudrehte, dann war es irgendwie auszuhalten, dann verspürte er einen eigenartigen Frieden, so, wie es war, war es gut.
    Aber ich habe schone Nachricht, Herr Schiwrin, sagte Nadjeschda und ihr Gesicht strahlte so warm, dass es das Eis auf dem Baikalsee schmolz. Das Eis von ganz Sibirien.
    Oichee. Herr Schiwrin war gar nicht wild auf Nachrichten und Überraschungen. Er wollte einfach nur hier liegen und den Tag rumkriegen, das war alles. Ab und zu das Bild seines Enkelsohnes anschauen, um das Nadjeschda einen Rahmen gemacht hatte. Im Gesicht seines Enkelsohnes suchen nach dem Gesicht seiner Mutter, und deren Mutter und deren Großväterchen, der längst um ein großes Feuer tanzte, in das er später hineinsprang … und wieder verwirrten sich Schiwrins Sinne. Ein Feuer, ein Feuer, der Großvater tanzte im Feuer. Ein Feuer in seinem Kopf, es sandte Lichtkugeln, Lichter in der Dunkelheit wie Karbidlampen in einem Tunnel, all den Tunneln, in denen er gelebt hatte so viele Jahre. Da sprach jemand, wer war das? Schwester Nadjeschda, die sibirische Pflanze. Schiwrin lachte. Was? Wer kam? Er drehte sich vorsichtig um in dieser neuen Turnhose, die ihm jemand gebracht hatte, irgendwer.
    Jewgeni Schiwrin, sagte jemand, der da stand und dessen Stimme zitterte.
    Er iemer nach Ihnen gefragt!, sagte Nadjeschda.
    Uljana fuhr herum.
    Wirklich?
    Aber ja! Er iemer gesagt: Oh meine Frau, oh Uljana, oh wo ist sie?
    Wirklich?? Uljana konnte es nicht fassen.
    Wirklich?? Sie musste es noch mal hören, noch mal und noch mal und etwas in ihr begann zu fließen.
    Schiwrin hörte all das und konnte nicht protestieren, er hatte nach niemandem gefragt, nach niemandem! Aber als er sich unter vielen Mühen umdrehte, sah er den Schatten einer Frau, die ihn erinnerte an ein junges Mädchen, das er damals voller Stolz zum Traualtar geführt hatte. Uljana Levmanikow, etwas grob, etwas hart, aber doch nicht aus Eisen. Ein stolzes Mädchen, das ihn um die Ehe angegangen war, kaum dass er ein wenig Polka mit ihr getanzt hatte. Das war schon schwer genug gewesen. Aber dann, geschmückt mit Bändern und

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