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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Irgendwie anders.
    Sie kramte in ihrer Handtasche, die voller Brotreste und Käse war; das Sotzbacher Mädchen hob alles auf, für schlechte Zeiten, wickelte es in Servietten ein und ließ es verschwinden. Mit der Zeit weichten die Servietten auf und die Butter schmolz und ihr Kamm und ihre Brille schwammen in einem gräulichen Brotebrei mit weißen Fetzen verziert, die Handtasche fing an zu stinken. Aber trotzdem war noch etwas Platz in der Handtasche und als das Sotzbacher Mädchen sah, dass Alwis seinen Kuchen nicht aufgegessen hatte, nahm sie ihn und stopfte ihn blitzschnell in die Handtasche. Dabei stieß sie auf ein seltsames rosa Etwas, das aus einer vergammelten Serviette fiel, etwas Weißes, Hartes, Gewölbtes … ein Gebiss!
    Meine Zähne!, rief das Sotzbacher Mädchen. – Ich hab meine Zähne wiedergefunden! Ist das aber gut! Meine Zähne – gucke mal an!!
    Und sie rubbelte emsig mit Alfreds Serviette über das rosig weiße Teil, schüttete noch ein wenig Mineralwasser drauf und schob sie sich freudestrahlend in den Mund.
    Seltsam. Etwas stimmte nicht. Sie verschob ihren Kiefer hin und her … drehte und drückte, biss noch mal zu, aber es half nicht. Das Gebiss war viel zu groß. Und je länger sie probierte und umso mehr sie darüber nachdachte, umso stärker kam ihr ein schlimmer Verdacht. Dieses Gebiss war gar nicht ihr Gebiss. Es war nur irgendwie in ihre Handtasche gekommen. Ob sie es vielleicht selbst irgendwo … aus Versehen, natürlich, nicht aus Absicht …? Woher konnte das Gebiss nur kommen? Menschenskind. Sie durfte auf keinen Fall mit einem fremden Gebiss erwischt werden.
    Sie hob sich mit dreifacher Anstrengung aus dem tiefen Sessel heraus, angelte nach ihrem Stock und wackelte in die Ecke des Fernsehzimmers, wo sie hinter der grün gekleideten, umherspringenden Fernsehmoderatorin ganz schnell das Gebiss in einen Blumentopf mit Asparagus stopfte.
    Weg damit, dann gab es auch keine Scherereien. Die Fernsehmoderatorin war indessen zur Seite gehüpft und gab den Schirm frei für lautstark kreischende Teeniebands. So, das war erledigt.
    Alwis aber mümmelte an einem trockenen Brötchen vom Morgen herum, zupfelte in dem weichen Inneren und
    saß in einem Meer von Krümeln. Er starrte angestrengt auf den Bildschirm und sagte nur von Zeit zu Zeit mal:
    Deddeddedei.
    Alwis sah schon den ganzen Tag lang MTV.

In Bälde  , hatte Frau Frankenfeld gesagt. In Bälde sei es so weit. Frau Wissmar sollte sich einstellen, denn die Arbeit sei sehr umfangreich, sehr umfangreich und es sei immer wieder notwendig, Überstunden zu machen. Ob sie, Frau Wissmar, denn imstande sei, eine solche Arbeitsbelastung auf sich zu nehmen? Als Lohn winke ihr eine eigene, sehr gute Sekretärin, Aussicht auf Auslandsreisen, eine Aktienbeteiligung, ja sie bekomme am Tage der Einstellung ein Aktienpaket ausgehändigt. So kulant sei man hierorts. Sie, Frau Frankenfeld, müsse ihre Arbeit noch zu Ende bringen, die Schränke räumen, das eine oder andere verfügen, aber insgesamt sei sie doch froh zu gehen, die nervliche Belastung sei zu groß, die ewigen Diskussionen, die zermürbenden Streitigkeiten in der Chefetage, die dann auf sie abgewälzt würden, sie wisse ja, wie das ist, wenn der eine dem anderen nicht grün ist, und sie, Frau Frankenfeld, sie sei ja auch nicht mehr die Jüngste, Frau Wissmar mit ihrer reichhaltigen Erfahrung sei womöglich besser geeignet für diesen verantwortungsvollen Posten und sie wünschte ihr viel Glück. Sehr, sehr viel Glück. Sie meldet sich noch mal, in Bälde.
    Würde sie nun endlich in die Chefetage kommen? War es so weit? Frau Wissmar war vorbereitet. Sie war ihr Leben lang vorbereitet gewesen für die Chefetage. Im Krieg waren die Firmen zerbombt worden, für die sie gearbeitet hatte. Ihr Verlobter war in Russland gefallen. Am besten, man dachte nicht darüber nach, Frau Wissmar war eine verantwortungsvolle Kraft und Zeit zum Nachdenken blieb ihr auch gar nicht. Frau Wissmar rollte den Stuhl zum Schrank, sie musste ihn öffnen, musste ihre Garderobe überprüfen. Sie besaß ein sehr schönes Kostüm von Betty Barclay. Das war geeignet für den ersten Arbeitstag bei der Degussa, ein feines Kostüm. Aber was trug sie am nächsten Tag? Vielleicht das Ensemble von Gil Bret aus dem Hause Ammerschläger? Gleich in der ersten Woche musste sie verschiedene Kleider tragen, was hatte sie denn noch im Schrank? Sollte sie sich noch einmal neu einkleiden? Sie konnte die Tür nicht öffnen, ihre

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