Die letzten Dinge - Roman
gemeinsam niederlegten … wenn schon kein Imam aufzutreiben war oder kein Rabbi weit und breit zu finden, so konnte doch er, Pater Ludolfus, sich der Dahinscheidenden annehmen … sehen, wie es ihnen ging. Als die Franziskanerinnen noch das Heim führten, hatte man einen besseren Kontakt gehabt. Sie fehlten ihm, die Franziskanerinnen, die wenigen, die noch im Orden tätig waren, sind zurück ins Mutterhaus gegangen.
Die Zeit war gekommen, es war 14 Uhr, er hatte Gianna versprochen zu kommen und so wollte er jetzt gehen.
Exorcizo … las er noch mal: Unheiliger Geist! Nun beschwöre ich dich. Ich beschwöre dich, böser Geist, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes: Lass ab von diesem Diener Gottes! … Tue dich auf dem Wohlgeruch der Gnade – du aber fliehe von hinnen, verworfener Geist, denn es naht das Gericht Gottes! …
Blödsinn.
Das konnte es einfach nicht sein. Pater Ludolfus klappte das Gebetbuch zu, stand auf, verließ sein Zimmer, ging über den gepflasterten Innenhof der Klosteranlage und durch den Torbogen hindurch, betrat die Fußgängerzone, ging mit festem Schritt an den Geschäften vorbei, ging und ging und schnupperte in den diesigen Tag hinein, die Fußgängerzone wurde zur schmutzigen Grünanlage, dann wurde es besser. Lichte Flecken zwischen den Häusern, hier und das standen noch Astern und verblühte Sonnenblumen. Zwei Kilometer weiter begann das Gelände vom Seniorenheim Abendrot. Er sah Gianna schon von weitem. Sie stand aufgeregt vor der Tür, eine Hand in der Tasche, sie qualmte und ihre grauen Löckchen mit dem Zöpfchen wippten auf und ab. Statt die Luft mal zu genießen, verqualmte sie sich hier noch die Lungen. Ludolfus schüttelte den Kopf. Aber sei es drum. Er fühlte in seiner Tasche nach … Weihwasser, Gebetbuch, eine Kerze … vielleicht würde er all das nicht brauchen. Vielleicht war er einer Spinnerin aufgesessen.
Wie gut, dasse komme! Padre! Padre, ich werde nie vergess, Sie sinde gekomme! Oh Padre, was ich abe Angst gehabte, jetzt Sie sinde da! Kommen erein, ier ist andere Treppe, da kennte uns die andere Personal nicht sehe, ier geht direkt obe in de Kleiderkammer.
Gottseidank hatte Gianna ihm nicht die Hände geküsst. Das wäre einfach zu viel des Guten. Ludolfus ertappte sich dabei, dass er doch ein wenig aufgeregt oder gespannt war, wie bei dem Betreten der Geisterbahn, in die er einmal mit den Behinderten von der Lebenshilfe gefahren war, vielleicht konnte er ja was erleben, etwas Aufregendes, etwas Besonderes. Er wünschte es sich geradezu.
Fünf Stockwerke. Fünf Stockwerke liefen sie hinauf, bei 233 Stufen hörte er auf zu zählen, der leichte Bierbauch machte sich bemerkbar. Gianna japste ebenso, war aber das viele Laufen gewöhnt, Hauptsache, sie wurden von niemandem beobachtet und beargwöhnt. Morgen hatte sie frei. Sie betete unaufhörlich, dass die arme Seele jetzt in den Himmel fliegen konnte. Außerdem betete sie mit äußerster Intensität, dass die Seele jetzt nach Kräften spukte, jetzt, am helllichten Mittag, damit der Padre ihr glaubte. Wenn er ihr nicht glaubte, dann war sie am Ende, sie würde sich schämen bis zum Himmelfahrtstag und sie würde beichten müssen, diese Blamage, sie musste irgendetwas erfinden, um über diese Schande hinwegzukommen und würde die Mittagskirche nie wieder betreten.
Gianna war an der schweren weißen Tür mit Türschließer angekommen, warf ihre kleine, kräftige, kalabrische Gestalt dagegen und drückte sie auf. Ein Schweißfilm bedeckte wieder ihr Gesicht, die Löckchen kringelten sich noch stärker, sie starrte den Pater angstvoll an. Der Pater fing an zu grinsen, klopfte ihr auf die Schulter und drückte die Tür weiter auf.
Ier wir sinde unter Dach. Und ier … gucke Sie … ier iste Tür von Kleiderkammer. Solle wir reingehe?
Der Pater nickte.
Hoffentlich, hoffentlich, dachte Gianna. Wenn das Gespenst nicht kam, dann musste sie irgendwie nachhelfen. Den Kleiderständer umschmeißen oder so. Sie durfte sich auf keinen Fall blamieren. Irgendetwas musste geschehen, ihr klopfte das Herz bis zum Halse.
Die Tür ging auf, da lag die Kleiderkammer unter dem schrägen Dach in himmlischem Frieden. Ein Tisch mit einer Nähmaschine, Metermaß und Schere. Ein Bügeltisch mit angeklemmtem Bügeleisen. Es war alles in Ordnung. Durch das Dachfenster drang Tageslicht hinein, die Ecken lagen im Dunkeln. In den offenen Schränken ruhte Pullover um Pullover aufeinander, daneben hing Rock um Rock und
Weitere Kostenlose Bücher