Die letzten Dinge - Roman
Kurtacker. Kein Fenster aufmachen, das war Kritik am Zustand seines Zimmers, er kurvte blitzschnell mit dem Rollstuhl in eine andere Ecke und Lotta schlüpfte ebenso blitzschnell ins Bad. Stand da. Wartete. Nichts geschah. Als es lange genug still war, kam sie wieder raus.
Entschuldigen Sie, sagte Herr Kurtacker, entschuldigen Sie, er brabbelte finster und unglücklich in seinen Elf-Tage-Bart. – Ich – ich friere sonst, ich will kein Fenster aufmachen … is gut so, ist gut.
Er winkte ab und schielte nach unten.
Hm. Lotta gab nicht auf. Sie betrachtete das schmutzige Bett. Rosalinde war die Einzige, die sein Bett machen und ihn duschen durfte. Von Zeit zu Zeit. Wenn er in Stimmung war. Meistens war er das nicht. An der Wand hing ein Bild von Kurtacker in jüngeren Jahren, er stand aufrecht, wenn auch mit einem leichten Buckel, in der Hand einen riesigen Fisch, und er lachte, strahlte über das ganze Gesicht.
Oh, Sie haben geangelt!
Oh ja, ich hab geangelt, geangelt, das ist meine Fischerhütte, da war ich mit meinem Bruder.
Herr Kurtacker war plötzlich ganz aufgeregt. – Ich hab noch mehr Bilder, mal gucken? Willst du mal gucken?
Ja klar!
Und Kurtacker rollte zum Nachttisch, zog die Schublade auf und holte mehrere verkrustete und verkrümelte Fotos heraus. Da!
Lotta nahm die Bilder in die Hand. Bilder aus den Siebzigern, aus den Achtzigern. Kurtacker mit langen Haaren, strahlend, in einer Kellerbar mit verschwommenen braunen Mustertapeten, Freunde um ihn, einer links, einer rechts, hob er strahlend ein volles Bierglas, aus dem der Schaum überlief.
Da haben wir gefeiert, sagte Kurtacker, mein Geburtstag.
Kurtacker hatte verdammt gut ausgesehen, gedrungen, verformt, aber ein schönes Gesicht. Ein schöner, kraftvoller 70er-Jahre-Mann. Heute war das Gesicht verwüstet. Von Bosheit, von Unglück, von verfilztem schwarzen Haar, im Mund hatte er nur noch wenige Zähne.
Und hier, das ist wieder die Hütte, hier, mein Bruder. Hier, … das war mein Auto.
Kurtacker hatte einen alten Karmann-Ghia besessen.
War, war der Sportwagen von VW! Der war, das war ein Klasseauto. Und da … Da hatte ich auch eine Freundin, willst du mal gucken?
Ja klar, zeig her!
Lotta wagte sich immer näher. Herr Kurtacker hielt die Bilder fest, wollte sie erst nicht hergeben und lachte und gluckste.
Die Gisela, war ’ne scharfe Sau! Houhou!
Was?
Aber da hielt Kurtacker ihr schon die Bilder vor die Nase. Lotta erschrak. Gisela war nicht sonderlich bekleidet. Genau genommen überhaupt nicht. Sie streckte Lotta ihren Allerwertesten entgegen, zeigte sich von hinten, von vorne, gebeugt und mit gespreizten Beinen. In der Kellerbar, auf einem Barhocker.
Kurtacker gluckste und lachte. Die Gisela.
Lotta fuhr zurück. Wollte sich die Augen zuhalten, dann sah sie doch hin. Kurtacker hielt ihr die Bilder nachdrücklich vors Gesicht.
Bei näherem Betrachten sah Gisela keineswegs glücklich aus. Ein unsicherer Blick, ein gequältes Lachen, kurze, aschgraue Haare und Mini-Pli. Eine Qual in der Kellerbar. Mit Kurtacker, dem Fotografen. Dem Freund, dem Freund. Kurtacker lachte rückwärts, amüsierte sich schrecklich.
Gut! Fein. Tolle Bilder, sagte Lotta ratlos.
Die … die sieht doch gut aus, … oder?
In zärtlichem Stolz sah Kurtacker die Bilder an.
Lotta nahm das Tablett und sammelte Kaffeetasse und Kuchenteller ein.
Hör mal, flüsterte Kurtacker vertraulich und winkte sie näher.
Hast du gestern Abend gefickt?
Ich wüsste nicht, wen!, kreischte Lotta, drehte sich auf dem Absatz herum und knallte die Tür.
Arsch! Wichser! Vollidiot!
Sie drehte den Schlüssel viermal herum. – So ein … so was … der Mensch ist doch völlig … also ehrlich!
Sie atmete heftig und ließ sich an die Wand sinken, da sah sie am anderen Ende des Flures Ivy, der nun ebenfalls an der Wand lehnte, die Arme überkreuz, die Beine überkreuz und ihr mit einem leichten Grinsen zusah. Die Nase war nicht mehr verpflastert, er sah besser aus, wenn auch noch sehr bleich.
Na – wie war es bei unserem lieben Kurtacker?
Ach der hat doch ’n Knall. Der ist doch … ein richtiges Schwein.
Ach Lotta, sagte Ivy nachlässig – unser armer Kurtacker ist nur ein wenig oversext. Dem fehlt was. Er ist zu lange allein. So was ist nicht gut für einen Mann.
Für eine Frau auch nicht, entgegnete Lotta heftig.
Ach was, wirklich? Ivy lächelte unverschämt.
Lotta drehte sich wütend um. – Hee Lotta.
Ivy löste sich von der Wand. – Ich wollte mich eigentlich
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